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Theater in der Josefstadt
Premiere: 07.11.2019

Ulf Stengl

Rosmersholm

Uraufführung / Nach Motiven des gleichnamigen Stückes von Henrik Ibsen

ca. 2 Stunden (Pause nach ca. 55 Minuten)

Kroll: Wo sind sie denn?
Johannes: Wer?
Kroll: Deine Ausländer? Die Islamisten. Sind die hier irgendwo?
Johannes: Machst du dich lustig?
Kroll: Du fühlst dich doch bedroht.
Johannes: Weil ich nicht möchte, dass es bei uns wird wie in Paris oder Brüssel.
Kroll: Düstere Szenarien vom Untergang des Abendlandes.
Johannes: Das stimmt nicht.
Kroll: Rechte Paranoia. Sonst gar nichts.
Johannes: Wir müssen doch die tatsächlichen Verwerfungen -
Kroll: Verwerfungen?
Johannes: Die gesellschaftlichen Verwerfungen zur Kenntnis nehmen anstatt -
Kroll: "Gesellschaftliche Verwerfungen".
Johannes: Es gibt etwas zu verteidigen. Unsere Kultur, unsere Sprache, unsere Art zu leben.

Die politischen Hintergründe, die Ibsen in seinem Drama beschreibt, sind heute leichter mit umgekehrten Vorzeichen vorstellbar. Damals haben linksliberale, demokratische Ideen das konservative bürgerliche Selbstverständnis erschüttert. Heute wären das vielleicht im Gegenteil die antidemokratischen Angriffe einer rechten Bewegung auf die Grundwerte einer offenen Gesellschaft.
Ulf Stengl

Das einsam gelegene Landgut Rosmersholm ist Schauplatz gleich dreier Selbstmorde. Zu dem Zeitpunkt, an dem wir in die Geschichte einsteigen, wurde Beate bereits von der Einsamkeit in den Freitod getrieben, unter der sie in der Ehe mit Johannes Rosmer gelitten hatte. Der Bruder der Toten, Rektor Kroll, findet ein Jahr nach dieser Verzweiflungstat seinen Schwager in politisch bedenkliche Ansichten abgeglitten. Er nimmt den Kampf um den Freund und für die Grundsätze auf, die ihm heilig sind. Und gegen Rebekka, die junge Frau, die den Platz Beates eingenommen zu haben scheint. Kroll macht sie für die Tragödie verantwortlich. Er wird eine neue Katastrophe auslösen, indem er das labile Gleichgewicht zerstört, auf dem Rebekka und Johannes ihr gemeinsames Leben zwischen Schuld und Trauma gegründet haben. Wut, Verbissenheit, Verzweiflung der Kontrahenten sind in der gegenwärtigen politischen Auseinandersetzung die gleichen wie zu Ibsens Zeiten. Und auch die von Ibsen beschriebenen seelischen Erschütterungen, die geeignet sind, Menschen in die Ausweglosigkeit zu treiben, haben seither nichts von ihrer zerstörerischen Kraft verloren. Verändert hat sich die Sprache, mit der die Figuren des Stückes ihre Nöte und Verletzungen gleichermaßen zu erklären wie vor sich selbst und den anderen zu verbergen suchen. Um den zeitlos brisanten Kern von Ibsens Stück deutlich sichtbar zu machen, kleiden wir ihn daher in eine neue, aktuelle Erzählung.
Ulf Stengl

Kroll: Sag du mir, was mit dir los ist.
Johannes: Nichts.
Kroll: Dieses Sendungsbewusstsein. Diese Attitüde des Retters der Zivilisation. Dieser gerechte Zorn des aufrechten Bürgers. Das bist doch nicht du.
Johannes: Wer sonst?
Kroll: Das sind doch nicht deine Positionen.
Johannes: Natürlich.
Kroll: Seit wann?
Johannes: Seit ich begonnen habe, der Realität ins Auge zu sehen.
Kroll: Und wie sieht das aus, dein Auge der Realität? Blau vielleicht?

Elmar Goerden, ausgezeichnet mit dem Regie-Nestroy für Die Verdammten und zuletzt verantwortlich für die Regie von Joseph Roths Meisterwerk Radetzkymarsch, wird Ulf Stengls Ibsen-Überschreibung auf die Bühne bringen. Herbert Föttinger wird in dieser modernen Variante des Stoffes, die den Grundkonflikt der scheinbaren Unvereinbarkeit zweier unterschiedlicher Überzeugungen ins Hier und Jetzt holt, als Johannes Rosmer zu sehen sein.

Elmar Goerden hat mit der für ihn typischen Präzision diese kurzweilige und dichte Uraufführung inszeniert. Der wortreiche, knapp zweistündige Schlagabtausch sitzt perfekt!
Föttinger als Rosmer ist von Beginn an in der Defensive, eingequetscht zwischen Freund Kroll und seiner jungen Gefährtin, von der er angenommen hat, sie sei so etwas wie seines Geistes Kind. Joseph Lorenz, dieser untadelige Theater-Sir, lässt seine aasige Kehrseite sehen. Der Clou ist Katharina Klars Rebekka, mit ihrem trotzigen Blick und ihrer rotzigen Sprache passt sie in die Josefstadt wie die Faust aufs Auge. Diese Asylantin im gutbürgerlichen Milieu, geformt im Prekariat als Prostituierte, Dienstmädchen, Pflegerin. Ibsen hat seine Kämpfe in tollen Frauenfiguren kristallisiert. Diese Rebekka passt in sein Panorama, wenn man es ins Heute transferiert. Sehenswert.
(Die Presse)

Der wunderbare Joseph Lorenz (dürfen wir ihn, bittedanke, öfter auf der Bühne sehen?) ist ein überzeugender Kroll, idealistisch und ehrlich entsetzt über die Wandlung seines Schwagers. Herbert Föttinger zeichnet den Rosmer als wankelmütigen, letztlich schwachen Menschen, ein hoch interessanter Charakter, der sich konsequent um seine Verantwortung herumlügt. Ereignis des Abends ist Katharina Klar: Sie entwirft Rebekka als Mensch mit schrecklicher Vergangenheit, der im Radikalen Halt gefunden hat. Sie ist gleichzeitig verängstigtes kleines Mädchen wie manipulative, erotische Frau. Sehr stark
(KURIER)

Ulf Stengl, Autor des neuen Josefstädter Rosmersholm, hat nicht nur das Frauenbild deutlich aktualisiert, er reduziert das Drama auf die drei zentralen Figuren und verkehrt die politischen Positionen. Tatsächlich hört man so akkurat politische Dispute im deutschsprachigen Theater selten.
(Der Standard)

Am Theater in der Josefstadt ist Autor Ulf Stengls Ansatz, Ibsens "Rosmersholm" via Dramenüberschreibung zu aktualisieren und auf die politischen Auseinandersetzungen zu fokussieren, voll aufgegangen. Herbert Föttinger hat die Rolle des Johannes Rosmer, Joseph Lorenz den Kroll übernommen, und Goerden seine Inszenierung mit einer feinfühligen Subtilität unterfüttert, die die beiden Kontrahenten ihren ideologischen Infight als gesitteten Disput gelehrter Gentlemen zum Thema gegensätzliche Denkweisen führen lässt. Keine Geste ist zu groß, nichts Gesagtes zu laut, und gerade dieses leise, unaufdringliche Spiel enttarnt die dogmatischen Formulierungen der Streitkulturparteien als standardisierte Banalitäten. Föttinger und Lorenz erschaffen im Zuschauer eine Empfindung, als würden zwei Menschen durchaus ähnlicher Weltanschauung diese allerdings vollkommen konträr auslegen. Klar spielt ganz "angry young woman", die Sprache vulgär, zu Floskeln verroht, die Attitüde zynisch-aggressiv mit Hang zur Gewalttätigkeit. Klar gelingt die große Kunst ein Mädchen zu gestalten, zierlich, emotional zerrieben, das auf Johannes‘ versuchte Zärtlichkeiten mit Alarm reagiert. Im von deren Beziehungskonflikt fast vollständig bereinigten Kammerspiel, nimmt sich Katharina Klar, was geht, und es geht eine Menge. Klar ist so stark, dass es tatsächlich verärgert, dass Rebekka eine klischierte Familiengeschichte als Wohlstandsverlierer- und Wutprekariatskind vorgeschaltet wurde, der Adoptiv-, in Wahrheit leiblicher, nun ein Fascho-Stiefvater, der die Tochter natürlich sexuell missbrauchte, die küchenpsychologische Erklärung für ihre politische Indoktrination, ihre seelische Instabilität und ihre allumfassende Anti-Einstellung.
(Mottingers Meinung)

Elmar Goerdens künstlerischer Weggefährte Ulf Stengl hat "Rosmersholm" neu geschrieben, die Personenzahl auf drei halbiert und, durchaus sinnig, die Vorzeichen im ideologischen Kampf der männlichen Protagonisten umgedreht. Bei Ibsen war Rosmer ein Pastor, der sich zum Entsetzen seines Schwagers Kroll für linksliberale Ideen erwärmt. Heute steht der Hochschulrektor und Alt-68er Kroll dem Kulturwissenschaftler Rosmer gegenüber und findet einen von diesem verfassten Text auf einer rechten Webseite vor.
Die daraus entstehende politische Auseinandersetzung bildet das Zentrum von Teil eins. Die Debatte klingt bemerkenswert authentisch: Zwei gebildete Männer, überfordert von der neuen Welt, streiten sich zusammen. Es wirkt wie eine Erinnerung, dass es bis vor kurzem noch so etwas wie eine Streitkultur gab. Direktor Föttinger, der selbst den Rosmer spielt, und Joseph Lorenz als Kroll wirken dabei angenehm leise, bei der Sache. Keiner von beiden wird zum Demagogen. Der größte Frischefaktor dieses Abends ist jedoch Katharina Klar, die erstmals am Haus gastiert. Ihre Rebekka gibt beiden Männern Saures. Wach, zynisch, höhnisch, angry, vulgär, eine Getriebene.
(nachtkritik.de)

Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger liefert einen hin- und hergerissenen Intellektuellen, der sich in der Hoffnung auf einen Neuanfang und unter Einfluss der rechtspopulistischen Euphorie einer jungen Frau verrannt hat. So versucht er anfangs noch, seine Ansichten gegenüber seinem Schwager, den Joseph Lorenz als gutmütigen, aber brennenden Linken anlegt, zu verteidigen: "Man kann sich nicht ein Leben lang nur mit Problemen der Ästhetik befassen. Wir haben alle eine Verantwortung. Besonders wenn die Zeiten so sind wie heute." Doch die Auswirkungen seines Textes bringen ihn bald ins Grübeln. Unter dem Eindruck gesellschaftlicher Isolation durch bisherige Wegbegleiter wendet er sich von Rebekka ab, um seinen Ruf doch noch zu retten. Es ist eine langsame, mäandernde Metamorphose eines aus der Bahn geworfenen Mannes, die Föttinger mit kleinen Gesten umso eindrucksvoller nachzeichnet. Katharina Klar als aufmüpfige Hardlinerin Rebekka ist ein Störfaktor mit Explosionspotenzial. Ulf Stengl ist es in seinem Text gelungen, keine stereotypen Charaktere zu zeichnen. Vielmehr erschafft er mit Johannes einen latent konservativen Ex-Linken, der im Strudel von Verlust, Isolation und äußeren Einflüssen politisch zu kippen droht, ohne gleich zu einem krakeelenden Rechten zu werden. Somit gelingt es, Empathie zu erzeugen. Hat man nicht vielleicht selbst im Rausch eines politischen Schlagabtauschs die eine oder andere Grenze überschritten, die eine oder andere Parole wiederholt oder sich zumindest gedacht - wider besseren Wissens?
(APA)

Beim Aufeinandertreffen dieser beiden Wiener Kapazunder in einem Kammerspiel sagte man gern launig wie Herbert Qualtinger: Föttinger gegen Lorenz, des nenn i Brutalität. Tatsächlich locken im ersten Teil der zweistündigen Aufführung die beiden einander aus der Reserve: Joseph Lorenz ist der virtuosere - mit seinem unendlich reich bestückten Handwerkskasten an Gesten, Blicken, sanften oder abrupten Ton- und Tempiwechseln und Bewegungen um seinen Partner wie im Bühnenraum. All dies formt er brillant zu jedem Satz, jedem Inhalt, jeder Stimmung. Herbert Föttinger ist der innigere: Was er sagt verschmilzt mit dem, was er spielt. Und Föttinger spielt es glaubwürdig.
(Salzburger Nachrichten)

Der Regisseur Elmar Goerden inszeniert das psychologische Kammerspiel mit Fokus auf die Dialoge. Im reduzierten Bühnenbild wogen die Argumente hin und her. Politische Thesen und biografisch motivierte Ausbrüche wurden von Ulf Stengl zu einem unvorhersehbaren Ablauf verwoben. Ohne viel Überzeichnung erhält das Ensemble eine große Spannung aufrecht.
(Falter)

Regie
Elmar Goerden

Bühnenbild
Silvia Merlo

Bühnenbild
Ulf Stengl

Kostüme
Lydia Kirchleitner

Dramaturgie
Matthias Asboth

Licht
Manfred Grohs

Regieassistenz
Teresa Hofer

Johannes
Herbert Föttinger

Rebekka
Katharina Klar

Kroll
Joseph Lorenz