Premiere: 05.12.2013
Thomas Mann
Joseph und seine Brüder - Die Berührte
Uraufführung / Aus dem Dritten Buch Joseph und seine Brüder
ca. 2 Stunden, 20 Minuten, eine Pause
Thomas Mann
JOSEPH UND SEINE BRÜDER
"Die Berührte"
In einer Bühnenfassung von Herbert Schäfer
"Tief ist der Brunnen der Vergangenheit."
Mit diesen Worten beginnt Thomas Manns umfangreichstes Romanwerk "Joseph und seine Brüder". Geplant als eine Novelle, entstand eine umfangreiche Tetralogie, sein gleichzeitig größtes und am wenigsten gelesenes Werk, begonnen 1926 in München, vollendet 1943 im kalifornischen Exil.
Joseph, Jaakobs Lieblingssohn, den er mit Rahel zeugte, provoziert seine Halbbrüder durch Schilderung seiner hochfahrenden Träume. Auf einer Reise fallen die Brüder über ihn her, werfen ihn in einen trockenen Brunnen und verkaufen ihn schließlich an ismaelitische Händler, deren Karawane nach Ägypten zieht. Dort wird Joseph an das Haus des Potiphar verkauft, "Freund des Pharao". Joseph nennt sich ab jetzt "Osarsiph", wie nach ägyptischem Brauch die Toten angesprochen werden, da er selbst für seinen Vater und für seine Familie längst als verstorben gilt.
Potiphar selbst wurde als Kind von seinen Eltern kastriert, ein Ritual, um ihm eine Karriere als Höfling zu eröffnen. Seine Ehe ist deshalb nur eine Ehe der Form, wie auch seine Hofämter im Grunde leere Ehrentitel sind.
Im großen Kapitel "Die Berührte" des dritten Romanteils "Joseph in Ägypten" sehen wir Mut-em-Enet, Potiphars Frau, zunächst zufrieden in ihrer nicht vollzogenen Ehe. Sie entwickelt aber in den drei Jahren ihrer geschlechtlichen Einsamkeit ein immer stärkeres Verlangen zu dem jungen Joseph, Sklave im Hause.
Potiphar selbst sucht nach einem Weg, sein eigenes Verlangen nach Ruhe, Liebe, Menschlichkeit mit seiner hohen Stellung zu verbinden, und überprüft währenddessen, wieweit er sich dabei auf den Rat seines Hofes (hier in Gestalt seines Höflings Dûdu) verlassen kann…
Günter Krämer inszeniert Herbert Schäfers Theaterfassung von "Die Berührte", aus Thomas Manns umfangreichem Roman, jenes Kapitel, das sich auf das Zusammentreffen von Potiphar, Mut und Joseph konzentriert. Die Collage besteht nur aus Originaltexten aus Thomas Manns Roman.
Unheiliger Drang einer biblischen Nonne
Als äußerst fein geschliffenen szenischen Essay hat Günter Krämer ein Kapitel aus "Joseph und seine Brüder" im Wiener Josefstadt-Theater inszeniert. Es brillieren die Schauspieler in einem schimmernden Text.
Die Hauptfigur in Die Berührte ist die Sprache. Ihrem Wohllaut, ihrem schimmernden, seidigen Ton gehört im Wiener Josefstadt-Theater die ganze Aufmerksamkeit. Aus der Feder geflossen ist diese Zaubersprache Thomas Mann. Dessen Joseph und seine Brüder entstand zwischen 1926 und 1943. Die Roman-Tetralogie, in der Mann sich den Anfängen unserer Kultur zuwendet, wird häufiger gelobt als wirklich zu Ende gelesen.
Eines ist Joseph und seine Brüder ganz bestimmt nicht: ein Theaterstück. Regisseur Günter Krämer hat sich auch bloß auf ein einziges Kapitel konzentriert. Die Berührte gehört in den dritten Band. Den biblischen Joseph (Florian Teichtmeister), Sohn Jaakobs, hat es in die ägyptische Hochkultur verschlagen. Als Hausvorsteher gehört ihm das ganze Wohlwollen Potiphars, der im Verein mit Gemahlin Mut-em-enet (Sandra Cervik) das blasse, aber sorglose Leben eines Höflings im Schatten Pharaos genießt.
Vor einem gleißenden Sonnentor mit Hieroglyphen (Bühne: Herbert Schäfer) referieren Potiphar (Tonio Arango) und dessen Frau ihr Leben. Mehr noch als ins Alte Testament gehören die beiden ins 20. Jahrhundert. Frau Mut gibt im kleinen Schwarzen ("Chanel") die Salonschlange. Ihr Mann, der unendlich elegant zu rauchen versteht, gleicht einem Zirkusansager der Weimarer Republik.
Lob des Nichtvollzugs
Alles wäre in der schönsten Ordnung. Nur leider ist Herr Potiphar mit der hohen Stimme ein waschechter Kastrat. Den Nichtvollzug seiner Ehe mit Mut-em-enet scheint dieser aasige, aber faszinierende Mensch zu genießen. Er ist der Lichtsohn, sie die "Mondnonne", sie spricht von sich in der dritten Person. An dieser äußerlich so harmonischen Beziehung stimmt rein gar nichts.
Die Eheleute werfen sich gegenseitig Träume an den Kopf. Es überrascht nicht sehr zu hören, dass Mut-em-enet, sexuell krass unterversorgt, sich in den schönen Bedienten vergafft hat. Den nennen alle "Osarsiph". Und während der Israelit das Schilf am Nil mit der Hand eigenhändig zur Reife führt, stöckelt die lüsterne Ministergattin wie eine Jackie Onassis des Nil-Deltas über die ausgelegte Planke. Die Cervik als liebestolle Entsprechung zu Nofretete ist ein Ereignis der Hochkomik.
Herbert Schäfers Bearbeitung des Joseph-Stoffes fördert noch eine andere Pointe zutage. Triebverzicht und Enthaltsamkeit sind gut für Kultur und Gemeinwohl. Es ist keine Marotte der Regie, wenn Potiphar hinter die berühmteste Kulturmaske schlüpft, die man aus neuerer Zeit kennt und mit Thomas Mann verbindet. Potiphar begegnet seiner Frau als Gustav von Aschenbach wieder. Berühmt ist dieser als Hauptfigur der Mann-Novelle Der Tod in Venedig. Noch berühmter ist nur die Darstellung Aschenbachs durch Dirk Bogarde in Luchino Viscontis Verfilmung. Aschenbach geht an den sündigen Blicken zugrunde, die er auf einen Knaben wirft, der am Lido-Strand spielt und den letzten Blick des Älteren erwidert.
Von der Macht des Blickes handelt auch Günter Krämers theatralischer Versuch. Der Joseph Florian Teichtmeisters begegnet Mut-em-enets Aufdringlichkeit mit aufsässigem Witz. Angespornt wird die Begierde der Hohen Frau durch eine Hofzwergin namens Dudu. Erni Mangold gibt die Kupplerin als Zauberkünstlerin mit Chapeau claque. Der angeblich sündhaft schöne Knabe weiß kaum, wie ihm geschieht. Auf dem Kopf trägt er den Kegelhut des chinesischen Reisbauern. Das Liedchen "Joseph, ach, Joseph, was bist Du so keusch!" stammt aus einer Leo-Fall-Operette. Die Liebe ist zu kaum etwas nütze, außer man verewigt sie auf Bildern, in Musikstücken, in Druckwerken.
Günter Krämers wunderbar gedankenreiche Reise an die Ufer des Nil ist eine der wirklichen Überraschungen dieses Theaterherbstes. Herausgekommen ist ein brillanter szenischer Essay über die kulturbildende Kraft der Sublimierung. Der Applaus war enden wollend. Aber bisweilen muss das Planungsbüro gegenüber dem Premierenpublikum auch recht behalten dürfen.
(Der Standard)
Ein wirklich hübscher Junge in der kleinen Rolle des Joseph: Florian Teichtmeister. Ein ausgemergelt schlaksiger, brillanter und humorvoller Herr Potiphar: Tonio Arango.(…)In mehreren Nebenrollen, eher männlich gepolt: Erni Mangold mit ihrer bekannt zynisch-süffisanten Attitüde.(…) Sandra Cervik ist die Mut-em-Enet, nur bekannt als die Frau des Potiphar, und sie kann an diesem Abend in drückender Dominanz alles geben – von locker-ironischer Berichterstattung über Aktionen und Seelenzuständen bis zur echten Verzweiflung jener, die sich nicht zu helfen weiß, obwohl sie weiß, wie peinvoll und peinlich es ist, sich nach einem jungen Hausklaven zu verzehren…Die Cervik, in Schwarz und in Gold (Kostüme: Alberte Barsacq), macht das souverän. amüsant und wunderbar nuancenreich.
(Der neue Merker)
Regie
Günter Krämer
Bühnenbild
Herbert Schäfer
Kostüme
Alberte Barsacq
Regie-Mitarbeit
Laura Linnenbaum
Dramaturgie
Herbert Schäfer
Licht
Emmerich Steigberger
Potiphar
Tonio Arango
Mut, seine Frau
Sandra Cervik
Joseph (Osarsiph)
Florian Teichtmeister
Dûdu
Erni Mangold
Freundin der Mut
Sabrina Worsch
Maxi Neuwirth
Melanie Flicker
Theresia Gabriel
Elisabeth Kofler
Monika Gindl
Katrin Eberl
Miriam Fontaine
Ruby Leaves