Premiere: 12.04.2018
Gustave Flaubert
Madame Bovary
Bühnenfassung von Anna Bergmann und Marcel Luxinger
ca. 2 Stunden, 50 Minuten (Pause nach ca. 90 Minuten)
In der Übersetzung von Elisabeth Edl
Bühnenfassung von Anna Bergmann und Marcel Luxinger
Die junge Emma Bovary hat sich mehr vom Leben erwartet, als ihr Dasein als Landarztgattin in der französischen Provinz zu fristen. Sie träumt von der Stadt Paris, von Luxus, Abendgesellschaften und Opernpremieren. Doch Paris bleibt für sie unerreichbar. Gelangweilt von ihrem Ehemann stürzt Emma sich in Liebesaffären, überschuldet sich und sieht am Ende keinen Ausweg mehr als den Selbstmord.
Gustave Flauberts Meisterwerk Madame Bovary gilt als eines der großen Werke der Weltliteratur und wegweisend für den modernen Roman. Seine Veröffentlichung 1856 in der Revue de Paris löste einen Skandal aus, der dem Schriftsteller eine Anklage wegen "Verstoßes gegen die öffentliche und religiöse Moral sowie gegen die Sittlichkeit" einbrachte und ihm eine "Verherrlichung des Ehebruchs" vorwarf.
Nach Fräulein Julie beschäftigt sich die Regisseurin Anna Bergmann erneut mit einer komplexen, alle Tabus brechenden Frauenfigur.
Meine Wangen werden bleicher, mein Gesicht wird schmaler. Ich bin so traurig und so still, so sanft und zugleich so verschlossen, dass man sich in meiner Nähe von eisigem Zauber gepackt fühlt. Ein Kleid mit geraden Falten verbirgt mein aufgewühltes Herz und diese schamhaften Lippen erzählen nichts von meiner Qual.
Emma
Als eifrige Leserin der Revue de Paris, lese ich dort seit der ersten Veröffentlichung Ihr in seiner Wahrheit so ergreifendes Drama mit dem Titel Madame Bovary. Ich habe gleich bemerkt, dass Sie ein Meisterwerk an Echtheit und Wahrheit geschrieben haben. Ja, das sind genau die Sitten jener Provinz, in der ich geboren bin, in der ich mein Leben verbracht habe. Ich habe sie gleich erkannt und ins Herz geschlossen, als hätte ich eine neue Freundin gefunden. Ich habe mich so sehr mit ihrem Leben identifiziert, dass mir schien, es beträfe sie und mich! Nein, diese Geschichte ist keine Erfindung, es ist die Wahrheit, diese Frau hat existiert, Sie müssen ihr Leben, ihren Tod, ihre Leiden mitangesehen haben. Das ist die Moral, die daraus folgt: die Frauen müssen sich an ihre Pflichten halten, was es auch koste. Schließlich ist es doch tausendmal besser, zu leiden, indem man seine Pflicht erfüllt.
Marie-S. Leroyer de Chantepie an Gustave Flaubert
Mit einer Leserin wie Ihnen, Madame, und auch noch einer so sympathischen, ist Offenheit eine Pflicht. Ich werde also Ihre Fragen beantworten: an Madame Bovary ist nichts Wahres. Es ist eine vollkommen erfundene Geschichte; ich habe weder etwas von meinen Gefühlen, noch von meinem Leben hineingebracht. Und dann muss die Kunst sich auch über die persönlichen Regungen und nervösen Empfindlichkeiten erheben! Es wird Zeit, ihr durch eine unerbittliche Methode die Präzision der Naturwissenschaften zu verleihen!
Gustave Flaubert an Mademoiselle Leroyer de Chantepie
Der 1857 als Buch und ein Jahr zuvor in Fortsetzungen in der Revue de Paris erschienene Roman Madame Bovary, an dem Flaubert von 1851 bis 1856 unermüdlich arbeitete, geht auf eine wahre Begebenheit zurück: den Selbstmord der Delphine Delamare, die einer Zeitungsnotiz zufolge in dem normannischen Dorf Ry – nicht weit von Rouen – mit einem unbedeutenden Landarzt verheiratet war, die Ehe brach, Schulden machte und sich 1848 vergiftete.
Bea Brocks, Therese Lohner, Silvia Meisterle und Ulli Fessl ergänzen die imponierende Haupt-Emma der Maria Köstlinger mit Hochdruck, verletzen sich willentlich, sind leidenschaftlich, gelangweilt und rastlos in der Suche nach dem Glück. Das Töchterchen Berthe (eine berührend lebhafte Puppe, exzellent geführt und gesprochen von Suse Wächter) überfordert, die Affäre mit Rodolphe endet abscheulich, ihr Kaufrausch zeitigt fatale Folgen, eine schwere Erkrankung mündet kurzfristig in eine Art Heiligenleben. Bildgewaltig und ästhetisch auf die Entstehungszeit von Gustave Flauberts 1857 erschienenem Roman verweisend, zeigt sich der erste Abschnitt des dreistündigen Unternehmens. Auch danach ist für Unruhe gesorgt, Kostüme und ein Elektroboard, mit dem der junge Liebhaber Léon (Meo Wulf) Emma begehrend umkreist, zielen auf ein Heute ab. Madame Bovarys Luftballons bringt der schmierige Kaufmann Lheureux (Siegfried Walther) mit seinen Wechselforderungen zum Platzen. Eine wilde Walpurgisnacht, Masken, Latex und Getöse illustrieren Emmas Aufbäumen vor dem Schritt in den Tod. Ein verstörend schöner Abend.
(Tiroler Tageszeitung)
Aus Erzähllust aus dem Zuschauerraum folgt Spiellust mit sukzessiver dramatischer Zuspitzung. Flauberts elegante Ironie und ätzende Satire bleibt in der Kombination dialogischer Szenen mit narrativen Passagen nicht auf der Strecke. Wie da die Lässigkeit der Geliebten – Christian Nickel als Rodolphe und Meo Wulf als mit einem Hoverboard über die Bühne flitzender Leon – auf die Bitterkeit der Enttäuschten trifft, wie die von Suse Wächter Berthe als creepy puppet – von Mutter Emma als "hässliches Kind" bezeichnet – immer wieder ins Spiel bringt, hält die Neugierde wach. Maria Köstlinger spielt nicht nur Klavier, sondern auch virtuos und exhibitionistisch die maßlosen Gefühlsumschwünge der gescheiterten Glückssüchtigen, gefangen in der Einöde des Alltäglichen und genervt vom Landarzt-Ehemann Charles, den Roman Schmelzer rollengerecht als freundlichen Langeweiler verkörpert. Siegfried Walther ist zuerst der mit allen Wassern gewaschene Apotheker Homais und dann der geldgeile Lheureux, der mit seiner Kundin Emma wie mit Marionette spielt und sie in den Ruin treibt.
(KURIER)
Maria Köstlinger kraftvoll als dauerrasende Emma. Christian Nickel spielt souverän Emmas Verführer Rodolphe. Fünf Emmas in allen Altersstufen wirklich beeindruckend umherschwirrend (Silvia Meisterle, Bea Brocks, Therese Lohner und Ulli Fessl). Auch Emmas zweiter Liebhaber, der junge Schwärmer Léon, ist mit Meo Wulf bestens besetzt, und Siegfried Walther ist ein Händler Lheureux mit Mephistoqualitäten.
(Die Presse)
Christian Nickel: brillant.
(Wiener Zeitung)
"Madame Bovary" kann man nicht 1:1 dramatisieren. Also muss man das Buch für die Bühne übersetzen, neue Bilder finden, Eigenleben entwickeln.
Regisseurin Anna Bergmann hat eine gelungene Arbeit geleistet, feinkörnig und vor allem genau gearbeitet. Bildstark und vielschichtig ist das Unterfangen, mit guten Momenten, die ihren Zauber entfalten: Im grünen hohen Raum ist die Protagonistin Emma, von Maria Köstlinger souverän gespielt, gefangen; gefangen in einer Sehnsuchtswelt.
(Kronen Zeitung)
Anna Bergmann gelingt Großes. So ideendurchtränkt ist ihre durchchoreografierte Arbeit, dass man’s teils mit fünf Sinnen gar nicht fassen kann. Was gut ist, lässt man den sechsten zu. Maria Köstlinger allen voran gestaltet die Bovary, umringt von Bea Brocks, Ulli Fessl, Therese Lohner und Silvia Meisterle. Das ist eine Frau in fünf Lebensaltern, das sind Stimmen im Kopf, eine Frau und ihre Erinnerungen und Vorausahnungen. Emma in ihrem Totenhaus immer selbst ihre Spinne Langweile, von Schatten umringt, von Anfang an ein Gespenst. Aggressive Bösartigkeit liegt in der Luft. Nickels Rodolphe decouvriert sich als ennuyierter Zyniker, Köstlinger ist von kalter Leidenschaft, ihrer Emma Zauber, wie es geschrieben steht, ein eisiger. Selbst Meo Wulf als Léon Dupuis bleibt als Elegiebürschchen unnahbar, wenn er auf seinem Elektro-Pedalo um die Bovary kurvt. Auch das eine gelungene Übersetzung für den ersten Ritt, den die beiden original bei einer wilden Kutschfahrt haben. Noch mehr Gegenwärtiges darf sein, im zweiten Teil in zeitgenössischen Kostümen und ebensolcher Sprache. Auch das tut Bergmann gern, Figuren durch die Epochen zu deklinieren, als Zeichen fürs Nichts-ändert-Sich. Emmas Schulden werden in Euro aufaddiert. Da haben die Darsteller die Lacher auf ihrer Seite, wenn Roman Schmelzer – ein wunderbar langweilig-gutmütiger Charles Bovary – und die Köstlinger nach der Pause in der Theaterloge eins sitzen, während Bea Brocks als Madonnen-Königin-der-Nacht-Mix vom Himmel schwebt, und Schmelzer seinen Charles sagen lässt, er sei bemüht, die Bühnenvorgänge verstehen zu wollen. Bergmanns Deutung der Titelrolle zwischen Heiliger und Hure, eingesperrt nicht im Mittelstandshäuschen, sondern im herrschaftlichen, krank-grünen Sanatorium (Bühnenbild: Katharina Faltner), angetan mal mit großem Gothic-Kostüm von Lane Schäfer, mal nur in der Wäsche umherkriechend. Mal am Klavier Portisheads "It’s A Fire" singend, mal Rodolphe im Slingbett beglückend.
(Mottingers Meinung)
Maria Köstlinger brilliert!
(Österreich)
Emma ist ein vielschichtiger Charakter, gleichsam eine Everywoman, die symbolhaft für die Rebellion gegen den ihr gesellschaftlich zugedachten Platz verstanden werden kann. So sah es zumindest einst die französische Obrigkeit - und so sieht es Bergmann, die ihrer Emma deshalb gleich fünf Darstellerinnen in allen Altersgruppen zuordnet. Auf der Bühne sind sie meist gleichzeitig, schwirren um Maria Köstlinger herum, flüstern ihr zu, verfünffachen ihr Inneres. Es ist einer von vielen regiehandwerklichen Tricks, mit denen Bergmann den Wälzer fit für die Bühne macht. Es gibt sanfte Livemusik (von der versatilen Maria Köstlinger am Klavier), Gesang, Ausdruckstanz, Loops, bedrohliche Sounds, Darsteller im Zuschauerraum, allegorische Stummfiguren, Masken, Handpuppen, geschickte Wechsel zwischen viel Original-Prosa und kurzen, modernisierten Dialogen. Christian Nickel gibt einen fantastischen Erzähler und einen urkomisch abgeklärten Liebhaber Rodolphe, Roman Schmelzer einen herrlich langweiligen, gutmütigen Charles Bovary, Meo Wulf einen glühenden Leon.
(APA)
Anna Bergmann adaptiert Gustave Flauberts Gesellschaftsroman stilsicher und präzise. Ausstattung, Musik und Licht sowie ein paar cool choreografierte Tanzmomente wirken, als wäre Falco in ein altes Herrschaftshaus eingebrochen, um ein Musikvideo im Stil von „50 Shades of Grey“ zu drehen. Bei diesem Stoff gilt die Devise: Lieber zu viele Ideen als zu wenige. Maria Köstlinger spielt Emma Bovary mit viel emotionalem und physischem Einsatz. Roman Schmelzer überzeugt als Lusche von Gatte, Christian Nickel als eitler Lover, Meo Wulf als Gigolo und Siegfried Walther als gieriger Tuchhändler.
(Falter)
Regie
Anna Bergmann
Bühnenbild
Katharina Faltner
Kostüme
Lane Schäfer
Musik
Heiko Schnurpel
Choreographie
Radha Anjali
Dramaturgie
Barbara Nowotny
Licht
Manfred Grohs
Emma Bovary
Maria Köstlinger
Bea Brocks
Ulli Fessl
Therese Lohner
Silvia Meisterle
Charles Bovary
Roman Schmelzer
Rodolphe Boulanger
Christian Nickel
Monsieur Homais/Lheureux
Siegfried Walther
Léon Dupuis
Meo Wulf
Berthe Bovary
Suse Wächter