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Theater in der Josefstadt
Premiere: 22.09.2022

Henrik Ibsen

Ein Volksfeind

ca. 1 Stunde, 55 Minuten, keine Pause

Bearbeitung von Arthur Miller
Deutsch von Iri Seiser

Wenn ein Mann für die Wahrheit kämpft, sollte er nie seine besten Hosen tragen.
Stockmann

Welchen Wert haben Wahrheit und moralische Verpflichtung in einer durchökonomisierten Gesellschaft? Wie kann ein gesellschaftlicher Wandel stattfinden, wenn die Angst vor Arbeitsplatzverlust und wirtschaftlichem Abstieg überwiegt? Schließen einander Wirtschaftlichkeit und Moral automatisch aus? Und: Welche privaten Kollateralschäden sind akzeptierbar beim Versuch sich selbst treu zu bleiben?

In Ibsens 1882 veröffentlichtem Stück Ein Volksfeind stehen wirtschaftliches Interesse und moralische Verpflichtung einander unvereinbar gegenüber. Als der Arzt Dr. Stockmann entdeckt, dass das Heilwasser des Kurortes durch Fabrikabwässer verseucht wird, will er diese Erkenntnis zum Wohle aller publik machen. Doch die Stadtverwaltung setzt auf Vertuschung, man fürchtet um die wirtschaftliche Prosperität des Ortes. Aber Stockmann drängt auf Aufklärung und nimmt dafür sogar gesellschaftliche Ausgrenzung in Kauf. Es geht ihm nicht mehr allein um das Heilbad, sondern um die Gesellschaft an sich. Stockmann hält eine Brandrede gegen die Machenschaften der Behörden, prangert das korrupte politische System und die Verlogenheit der Gesellschaft an. Sein verbissenes Ringen um Wahrheit ist für seine Familie mit negativen Konsequenzen verbunden, dennoch kämpft Stockmann leidenschaftlich für seine Ideale und wird so zur Zielscheibe öffentlicher Anfeindung – zum Volksfeind.

Mit Ibsens Ein Volksfeind eröffnet Regisseur David Bösch seine politische Ibsen-Trilogie im Theater in der Josefstadt. Bösch, einer der führenden Regisseure der Gegenwart, wird zum ersten Mal im Theater in der Josefstadt inszenieren.

Gespielt wird hervorragend. Roman Schmelzer entwirft den Dr. Stockmann als erstaunlich naiven Charakter, der irgendwann den Tunnelblick bekommt und sich als Märtyrer gefällt. Hinreißend ist die Gestaltung des Bürgermeisters durch Josefstadt-Neuzugang Günter Franzmeier, der einen schleimigen Politiker hart am Rand der Parodie spielt. Martina Ebm deutet mit wenigen Gesten einen hoch interessanten Charakter an. Sehr stark sind auch André Pohl als feiger, anpassungsfähiger Verleger und Unternehmer, Johannes Seilern als gewissenloser Industrieller, Oliver Rosskopf als zuerst kämpferischer, aber dann mutloser Chefredakteur und Jakob Elsenwenger als Jung-Karrierist. Erwähnt sei ausdrücklich auch Theodor Machacek, der den kleinen Sohn der Stockmanns spielte – ein großes Talent mit ausgezeichnetem Timing.
Wer einen spannenden, knapp zwei Stunden kurzen, sehr modisch aussehenden Theaterabend über ein brandaktuelles Thema sehen will, wird hier bestens bedient.
(KURIER)

Roman Schmelzer spielt den Idealismus des Doktors furios, er verleiht ihm auch beängstigende Züge. Günter Franzmeier ist als Bürgermeister Stockmann ein geschickter Stratege. Der überlegt genau, was er sagt und tut, mit kaltem Kalkül. Perfekte Besetzungen! Ein fein abgestimmtes brüderliches Power-Duo. Martina Ebm spielt die Arztfrau so wandelbar, wie ihre Kollegen das Brüderpaar geben. Auch die anderen Rollen sind klug besetzt. André Pohl, Jakob Elsenwenger und Oliver Rosskopf bieten Karikaturen verkommenen Pressewesens. Auch Johannes Seilern als Vater Kathrins zeigt einen vielschichtigen Charakter. David Bösch hat den Fünfakter flottgemacht, eine gelungene Wiederbelebung mit Pfiff, die Modernisierungen sind wohlüberlegt.
(Die Presse)

Günter Franzmeier schmeckt an seinem ellenlangen Konferenztisch die "M"s seines "Mmmmammmutprojekts" so genüsslich ab, dass ihm die Zufriedenheit aus allen Poren seines kommunalkapitalistisch frohlockenden Körpers strömt – während er umgekehrt, aber nicht weniger tänzelnd, die "M"s aus einer höchst unliebsamen "Mmmail" angewidert ausspuckt. Schön anzuschauen ist die in statuarische Eleganz gehüllte Ratlosigkeit alter weißer Männer: des mächtigen, aber nervösen Zeitungsherausgebers Aslaksen (André Pohl) oder des für die Verunreinigung verantwortlichen Fabrikbesitzers (Johannes Seilern). Motto des Abends: Die Rechte sind gewahrt, solange einer wagt, sie anzuzweifeln.
(Der Standard)

David Böschs auf Arthur Millers Bearbeitung basierende Überschreibung ist deutlich aktualisiert und in eine Kleinstadt von heute verlegt, die mit ziemlicher Deutlichkeit auch hierzulande zu finden wäre. Roman Schmelzer als idealistischer Jungarzt macht dessen "Radikalisierung" vor dem Hintergrund seines existenziellen Scheiterns glaubhaft. Günter Franzmeier als sein Bruder und Gegenspieler, aalglatter, dynamischer Überzeugungskünstler im stets Seriosität ausstrahlenden hellblauen Anzug, liefert einen überzeugenden Einzug als neues Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt. Alle anderen - Maria Ebm als Ehefrau Kathrin, Oliver Rosskopf als leidenschaftlicher, letztlich aber feiger Lokalreporter, André Pohl als kleinbürgerlicher "Interessenvertreter" und Jakob Elsenwenger als rückgratloser Jungpolitiker - halten dem Druck und den Verführungen der gesellschaftlichen "Ordnung" letztlich nicht stand. Jeder von ihnen will nur das Beste - für sich, nie jedoch für die Allgemeinheit, die viel zitiert und noch mehr manipuliert wird. Bösch gelingt es, mit vordergründig leichtfüßigem satirischem Humor alle Figuren in die sich rasch öffnenden Abgründe zu manövrieren und damit ein überzeugend gültiges Gesellschaftsbild zu liefern.
(Wiener Zeitung)

Eine rasante, vielversprechende Inszenierung.
(Salzburger Nachrichten)

David Bösch gestaltet die Auseinandersetzungen um die Wasserqualität der "Fjord Therme" glaubhaft aktuell. Mit pfiffigen, gelungenen Werbe-Einblendungen von Beginn an klar gemacht: Das Stück hat in den 140 Jahren seit seiner Entstehung nichts an Aktualität verloren. Wahrheit und Politik vertragen sich nicht. Schlau hat Patrick Bannwart sein Bühnenbild zunächst als Baustelle konzipiert. Bösch vermeidet die Versuchung aller "Volksfeind"-Regisseure, das Publikum mit einzubeziehen, und konzentriert sich darauf, die Fouls im Spielverlauf deutlich zu machen. Weswegen die Höhepunkte der mit kaum zwei Stunden Spieldauer sehr straffen Aufführung die Momente der Stille sind, die sich Franzmeier bei der Lektüre jener Schriftstücke nimmt, die den Lauf der Dinge verändern könnten. Beim Gutachten seines Bruders und dem geplanten umstürzlerischen Leitartikel gilt: studieren geht über reagieren. Sanft wird an Wissenschaftsskepsis und Corona-Leugnertum von heute erinnert, doch im Mittelpunkt steht der Arzt, der sich immer mehr vom Aufklärer zum Fanatiker wandelt und damit selbst seine eigene Familie in die Flucht schlägt. Die Josefstadt positioniert sich erneut als Ort für Gegenwartsthemen.
(APA)

Souverän ist der Umgang mit Henrik Ibsens 1882 uraufgeführtem Drama, der auf einige Figuren verzichtet, Szenen und Vorgängen einen etwas anderen Charakter verleiht, generell mit pausenlosen 110 Minuten das Auslangen findet und trotzdem das Anliegen des Autors präzise verfolgt.
Schnörkellos bringt ein achtbares Ensemble diese sehr heutige Geschichte auf Patrick Bannwarts Drehbühne, die ansprechend von Baustelle zu Kommunalpolitiker-Büro oder Redaktion wechselt und wo mittels Werbevideos und wahrhaft plakativer Plakate die Gier bebildert wird.
(Tiroler Tageszeitung)

Bösch ist ein Meister darin, selbst in den tristesten Geschichten überraschende Funken an bösem Humor zu schlagen, ohne dem Stoff dabei die emotionale Wucht zu nehmen. Roman Schmelzer ist als Rebell wider Willen zuerst ein Sunnyboy, bis die Verzweiflung über ihn kommt. Sein Widersacher (Günter Franzmeier) ist ein skrupellos-geschmeidiger Politiker, der weiß, wie man das Volk rhetorisch manipuliert. Toll auch, mit wieviel Witz Martina Ebm die hochschwangere Ehefrau des Aufdeckers spielt, der die Existenz der Familie aufs Spiel setzt. Bislang war David Böschs Josefstadt-Debüt ist schön aufgegangen.
(Profil)

Der Abend ist ein einziges Wortgefecht, dem man gebannt folgt.
(Falter)

Regie
David Bösch

Bühnenbild und Video
Patrick Bannwart

Kostüme und Video
Falko Herold

Musik
Karsten Riedel

Dramaturgie
Matthias Asboth

Licht
Manfred Grohs

Dramaturgieassistenz
Leonie Seibold

Morten Kiil
Johannes Seilern

Billing
Jakob Elsenwenger

Hovstad
Oliver Rosskopf

Aslaksen
André Pohl

Peter Stockmann
Günter Franzmeier

Dr. Thomas Stockmann
Roman Schmelzer

Kathrin, seine Frau
Martina Ebm

Morten, ihr Sohn
Theodor Machacek / Theo Kapun
Paul Eilenberger