Premiere: 06.09.2022
Ödön von Horváth
Ein Kind unserer Zeit
Uraufführung
ca.2 Stunden, 40 Minuten (Pause nach ca.95 Minuten)
Für die Bühne bearbeitet von Stephanie Mohr.
Nur nicht denken! Durch das Denken kommt man auf ungesunde Gedanken.
Horváths Roman folgt in dichter Erzählung dem Weg eines durch seinen Hass auf das scheinbar bessere Leben der anderen radikalisierten Soldaten. Der starke Glaube an die Kraft des "Volkskörpers" verleiht ihm Hoffnung – die sehr bald in der größtmöglichen Desillusionierung mündet.
Horváths 1938 erschienene Kritik am nationalsozialistischen Deutschland hat in ihrer plastischen Schilderung der durch eine amoralische Politik verführbaren Masse leider auch nach 85 Jahren ihre Aktualität nicht verloren.
Ein junger Mann ohne Perspektiven gerät in den Sog nationalistischer Propaganda, begeht Verbrechen gegen die Menschlichkeit, erfährt einen herben Rückschlag und erkennt seine Fehler. Was wie die Synopsis eines zeitgenössischen Filmstoffs klingt, ist die Kurzzusammenfassung von Ödön von Horváths posthum erschienenem Roman "Ein Kind unserer Zeit" von 1938, den Regisseurin Stephanie Mohr nun höchst eindringlich am Theater in der Josefstadt dramatisiert hat. Mohr verfolgt mit der Aufteilung der Rolle auf vier Schauspielerinnen einen schlüssigen Zugriff, der Distanz schafft und zugleich die Vielschichtigkeit des Soldatencharakters würdigt. Mit Therese Affolter, Susa Meyer, Martina Stilp und Katharina Klar finden sich vier Frauen auf der Bühne, die in vier unterschiedlichen Jahrzehnten geboren sind. Das erschafft nicht nur ein Bild der Zeitlosigkeit des Charakters, sondern ermöglicht es auch, die verschiedenen Reflexionsebenen des Protagonisten herauszuarbeiten. Die Schauspielerinnen, die sich den ganzen 160 Minuten dauernden Abend rund um und in einem grauen, offenen Zylinder (Bühne: Miriam Busch) bewegen, übernehmen fließend auch alle Nebenrollen von der Witwe des im Selbstmord gefallenen Hauptmanns über den vom Ersten Weltkrieg gezeichneten Vater bis hin zu jenem Mädchen, in das sich der Soldat verliebt, ehe er in den Kampf aufbricht. Während Katharina Klar ihre stärksten Momente in der Sturm-und Drang-Phase des jungen Soldaten entfaltet, kontrastiert sie Martina Stilp mit großer Abgeklärtheit, während Susa Meyer so etwas wie Mütterlichkeit ausstrahlt und Therese Affolter mit robuster Gefühlskälte brilliert. Starke Ensembleleistungen, überzeugender Zugriff.
(APA)
Stephanie Mohr hat Horváths Roman in Dramenform gebracht und lässt vier Schauspielerinnen - Therese Affolter, Katharina Klar, Susa Meyer und Martina Stilp - den Soldaten spielen. Ein geschickter dramaturgischer Behelf, die Frauen spielen nämlich flexibel und mitunter mit Faschingskistenrequisiten auch alle anderen Rollen, die im Lauf des Geschehens auftauchen - vom verhassten Vater des Soldaten über den für den Krieg zu anständigen Hauptmann bis zu dessen Witwe, die getröstet werden will, und die Jahrmarkt-Kassiererin, in die sich der Soldat verliebt hat und deren Schicksal ihm schließlich den Rest gibt. Außerdem macht diese Aufspaltung der Person es möglich, dass der Soldat gleichzeitig erzählt und handelt. Es gelingt Mohr, und vor allem dem ausgezeichneten Ensemble, dramaturgische Energie umzusetzen. Dabei hilft auch die Bühne von Miriam Busch, auf ihr dreht sich unerbittlich wie die Wiederholung der Geschichte ein graues Rondeau, dessen Inneres vielerlei Schauplätze beherbergt: vom Baum, auf dem man Zivilisten aufknüpft, über das "Verwunschene Schloss" zum beengten Zimmer des Vaters. Affolter, Klar, Stilp und Meyer balancieren großartig auf dem Grat zwischen Eigenständigkeit und Verschmelzung.
(Wiener Zeitung)
Vier hervorragende Darstellerinnen, interessante Szenen und packende innere Dialoge.
(KURIER)
Vier Frauen spielen abwechselnd und abwechslungsreich diesen meist zerlumpten Soldaten sowie Menschen um ihn in düsterkalter Welt – höchst musikalisch, expressiv, manchmal auch satirisch, mit passendem Pathos. Therese Affolter steuert etwas Gift bei, Katharina Klar viel Melancholie und Trauer. Susa Meyer weiß auch das Komische in der Tragik zu vermitteln, Martina Stilp bringt mühelos von allem etwas. Die Josefstadt bietet Frauen-Power im besten Sinne und Charakterköpfe aus mehreren Generationen.
(Die Presse)
Die szenische Auflösung überzeugt: Die Schauspielerinnen kommentieren das Handeln und betrachten sich und das Geschehen – analog zur Bühne – einmal von innen, dann wieder von außen. Die "Herren Weiber" behaupten sich als Soldaten.
(Salzburger Nachrichten)
Wer aus den Eröffnungspremieren der Wiener Theatersaison nur eine auswählen kann, der oder die möge sich für diese entscheiden. Regisseurin Stephanie Mohr hat fürs Theater in der Josefstadt Ödön von Horváths visionären Roman für die Bühne eingerichtet, ein Kunststück, ist der Protagonist doch ein Ich-Erzähler, das Ganze ein innerer Monolog, der zwischen Schilderung der Handlung und seiner Haltung dazu wechselt, von zeitraffend zu zeitdehnend, vom radikalen Faschisten zum fieberhaft gehetzt Vollstrecker zum desillusionierten Kriegsversehrten.
Mohr legt die Figur in die Hände von vier Schauspielerinnen: Therese Affolter, Susa Meyer, Martina Stilp und Katharina Klar. Sie führt ihr Ensemble präzise und einfühlsam, zeigt höchst eindringlich vier starke Frauen als Paraphrase, als Demonstration toxischer Männlichkeit, als würden hier Mütter, Ehefrauen, Schwestern, Töchter anklagen, so sie den Krieg doch nicht verhindern konnten. Und das alles in einem Tempo, das einen atemlos macht. Kein Satz ist in dieser Inszenierung zu viel, jede Minute spannend, jede Verwandlung von Person zu Person bemerkenswert.
(Mottingers Meinung)
Diese Besetzung ist, wie man sekundenschnell begreift, kein aktuellen Debatten geschuldeter Firlefanz, sondern entfaltet in der Loslösung der Rolle(n) vom Geschlecht große Energie und Intensität. Katharina Klar, Martina Stilp, Susa Meyer und Therese Affolter erwecken den Soldaten zum Leben und auch jene über die Erzählung des Protagonisten vermittelten Figuren von Hauptmann, Artistin, vom Kassenfräulein am Jahrmarkt, auf die der junge Mann ein Auge geworfen hatte, bis hin zum kleinen Kind, das den Erfrorenen im Park entdeckt. Die vier fabelhaften Darstellerinnen nehmen sich, gemeinsam wie allein, einen bemerkenswerten Bühnenraum. Die gelungene Ausstattung von Miriam Busch begleitet das kraftvolle Spiel.
(Tiroler Tageszeitung)
Regie
Stephanie Mohr
Bühnenbild und Kostüme
Miriam Busch
Musik
Wolfgang Schlögl
Dramaturgie
Matthias Asboth
Licht
Manfred Grohs