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Theater in der Josefstadt
Premiere: 15.09.2011

Johann Nestroy

Der böse Geist Lumpazivagabundus

ca. 2 Stunden, 15 Minuten, eine Pause

Nestroys berühmtes liederliches Kleeblatt sieht ganz schön zerrupft aus. Martin Zauner gibt den Knieriem als Mischung aus Gerard Depardieu und Hermes Phettberg, leicht ungustiös, doch liebenswürdig, nur der Astronomie und dem Alkohol zugetan. Sein Aufstieg ist hochprozentig: von Bier zu Wein zu Schnaps. Florian Teichtmeister versucht als Zwirn vom Scheider zum Don Juan zu werden, doch geht ihm weder bei seinen Italienischübungen noch bei seinen Frauenabenteuern der Knopf auf. Rafael Schuchter ist als Leim eine Entdeckung - ein sympathischer, kreuzbraver Kerl, der das Glück hat, dass die Angebetete (Daniela Golpashin) auf ihn wartet, und das Pech, dass sich der Schwiegervater (Toni Slama) als rechter Spießbürger entpuppt.
(APA)

Und dieses von adretten Ehegattinnen (Therese Lohner, Susanna Wiegand, Daniela Golpashin) und mörderisch großen Kinderwägen gesäumte, traurige Schlussbild ist der wahrste Moment in Georg Schmiedleitners Josefstadt-Inszenierung. Der auf trashiges Volkstheater abonnierte Regisseur(mit Franzobel, dessen Lumpazi-Neudichtung vom Theater abgelehnt wurde, hat er vielfach zusammengearbeitet) traut dem Antlitz des braven Bürgers nicht über den Weg; und er glaubt nicht an die Rettung der Moral durch Angepasstheit: Nein, so brav und weiß gepudert, wie Schuster, Schneider und Tischler am Ende dastehen, das ist eine offensichtlich trügerische Lösung.
(Der Standard)

Hier wird richtig schwarzer Nestroy gespielt, da darf man Fratzen machen und bittere Miene zum Endspiel. Es geht um die Krise, um Glücksritter, um die Verdorbenheit der Welt im explosiven Vormärz. Der Stoff ist immer noch aktuell. All dies kann man aus Mangolds Auftritten herauslesen. Applaus für eine großartige Charakterdarstellerin!
Martin Zauner als trunksüchtiger Schuster Knieriem hat das Talent zum Possenreißen und auch die Gelegenheiten dazu. Er kostet sie weidlich aus, als Clochard mit fettiger Mähne, der im Dauerrausch unkontrolliert zwischen Gemütlichkeit und Aggression schwankt. Sein Kometenlied, von den Sofa Surfers aufgepeppt, ist ein passabler Rapp. Die Pointen setzt Zauner im Verlauf des Abends, wenn Knieriem vom Bier über den Wein bis auf den Schnaps gekommen ist, immer präziser. Auch Florian Teichtmeister wirkt sicher in der Zurschaustellung eines zwielichtigen Charakters. Im Erobern und Ausgeben ist dieser Schneider Zwirn maßlos, im Denken beschränkt. Vor allem in der Szene als Neureicher in Prag brilliert Teichtmeister. Wie ein Boxchampion tritt er auf, mit massiven Goldketten, an jedem Finger einen Ring, in jedem Arm eine Halbweltdame, die ihn ausnimmt. Reichlich Lacher erntet er für sein abenteuerliches italienisches Palaver und beim Brief-Sketch. In diesen skurrilen Szenen gibt es Nestroy, wie man ihn kennt, mit skurrilem Wortwitz und lustvollem Zusammenspiel.
(Die Presse)

Keine Spur von biedermeierlicher Glückseligkeit, man setzt auf das Böse und Sezierende in Nestroys Zauberposse von 1833. Die Bühne ist leergeräumt, die Feenwelt gleicht einem Geriatriezentrum, wo die Idee zur Wette um die Handwerksburschen Knieriem, Leim und Zwirn geboren wird, um den Unruhestifter Lumpazivagabundus (beängstigend: Erni Mangold) zu bannen. Das Glückslos wird beim Flippern erworben, Martin Zauner (Knieriem) bringt das Kometenlied als Weltuntergangsrap, und die biedermeierkonforme Auflösung in die heile Welt von Arbeit und Kleinfamilie wird als Farce entlarvt. Ziemlich gut.
(Falter)

Franzobel scheiterte an der geplanten Paraphrase auf Nestroys grelldüstere Menschheitsgroteske. So nahm sich Georg Schmiedleitner das ingeniöse Original vor und konzentrierte sich auf die menschlichen Tragödien. Gut so: Martin Zauner (Knieriem) überzeugt als Alkoholiker, das Kometenlied rappt er trocken und von einer Rockband begleitet. Florian Teichtmeister gefällt als Strizzi Zwirn und Rafael Schuchter als konservativer Karrierist Leim. Großartig: Erni Mangold als dämonischer, kahl geschorener Lumpazi. Alexander Wächter (Stellaris) agiert unter den betagten Feen (Lotte Ledl, Marianne Nentwich) mit der Intensität einer Jack-Nicholson-Parodie. Sehr gut: Therese Lohner in mehreren Rollen.
(News)

Es ist ein durchaus progressiver Lumpazivagabundus, den Regisseur Georg Schmiedleitner auf die Bühne tänzeln lässt. Vor einem kargen Bühnenbild mit wenigen, aber edlen Requisiten, in dem das Hobelmann’sche Geschäft aus Umzugskartons gebaut ist, lässt er das handwerkliche Prekariat, dem Fortuna die Lotteriezahlen - und somit den Schlüssel zum vermeintlichen Glück - in den Traum gibt, ordentlich einfahren.
Eine kahle Erni Mangold als Lumpazivagabunds zieht dabei das Publikum von Beginn weg in ihren Bann. Zauner gibt den dem Suff verfallenen Knieriem eher pomali, während Rafael Schuchter einen gekonnt wandlungsfähig empathischen Leim auf die Bühne stellt. Florian Teichmeister macht aus dem Schneider Zwirn mal den versifften Raufbold, mal den zuhälterhaften Glitzerproll. Herrlich auch die alten Haudegen der Josefstadt als Feengesellschaft, allen voran Alexander Waechter als popstarhafter Feenkönig Stellaris, mit Glitterkrone und dunkler Sonnbrille, als müsste er versuchen, die Groupies fernzuhalten.
Es ist auch kein sehr gefälliger Lumpazivagabundus, der dem überraschten Publikum hier vorgesetzt wird. Die Couplets besorgen etwa die Sofa Surfers live, hier wird "Die Welt steht auf kan Fall mehr lang" zur anklagenden Rock-Hymne. Oder wenn Knieriem und Zwirn am Ende von Lumpazivagabundus unter klagendem Gitarrensound direkt aus der Schnapsflasche getränkt werden.
(Wiener Zeitung)

Unkonventionelle Aufführung ...Turbulentes Spiel. Dynamik, Schwung und Witz kann man der Aufführung nicht absprechen.
(Kronen Zeitung)

So schaut ein echter Nestroy aus, auch wenn ihn Schmiedleitner ganz "unwienerisch" in Szene gesetzt hat. Das Publikum spendete teils böse Blicke, aber auch Bravos.
(Oberösterreichische Nachrichten)

Erni Mangold sorgt dafür, dass Lumpazivagabundus als mephistophelischer Geist zu erleben ist. Die 84-jährige Schauspielerin legt mit Kunstglatze und im knöchellangen, hochgeschlitzten, rückenfreien schwarzen Kleid famose Auftritte hin. Einmal zeigt sie ihren Zorn in einer wunderbaren Kombination aus Cancan und Fußtritt, genauso deutlich vermittelt sie mit grazilem Hüftschwung trotzige Eleganz. Auch andere Schauspieler sind beachtlich. Rafael Schuchter spielt den Leim: Aus dem schüchternen und unglücklich verliebten Burschen wird ein berechnender biedermännischer Ehemann. Florian Teichtmeister als Zwirn ist erst lebenslustig bis zur Verlogenheit, dann ein herrlich halbstarker Prasser. Martin Zauner ist der verdrossene Schustergesell’, der seine Depression in Alkohol und mit Warten auf den Kometen kompensiert; sein größter Glaube ist jener an die "unverschuldeten Unglücksfälle", die ihm stets Geld und Glück rauben.
(Salzburger Nachrichten)

Da Nestroy ja zu seinem Erfolgsstück eine Fortsetzung geschrieben hat, in der auch die "Lumpen" Knieriem und Zwirn zu Familienvätern werden (aber was für welche…), stattet der Regisseur zum Finale alle drei seiner Helden mit Frauen und Kinderwägen aus. Die leeren, unglücklichen Blicke, mit denen sie in den Zuschauerraum starren, die muss man sich einmal geben, um zu begreifen, wie gut Schmiedleitner Nestroy begreift, indem er ihn zu uns holt.
Aber da gibt es ja noch die Zauberwelt, das von Nestroy ironisch jonglierte Relikt des Wiener Volkstheaters. Die Damen und Herren Feen und Zauberer streiten in ihren luftigen Höhen, was das Zeug hält, aus ihrer "Wette", ob die Menschen zu bessern seien, erwächst das Stück. Man schätzt die Herrschaften, die Schmiedleitner zu Beginn auf die leere Bühne schickt, viel zu sehr, um sie als das Altersheim der Josefstadt zu bezeichnen, aber "Oldies" im besten Sinn sind sie, symbolisieren solcherart zweifellos die Überalterung des Zauber-Gedankens. Wie dem auch sei - dass sie in der Folge der Handlung die „Rollen“ übernehmen, die Staffage sind (ein Wirt, eine Haushälterin usw), ist nicht neu, aber stimmig. Die "Echtmenschen" bleiben original, und vor dem "Lumpazi" selbst (der "Lump" steckt fest in ihm drin) kann man fast erschrecken: Die klapperdürre Erni Mangold mit Glatzenperücke und schauriger Behändigkeit erinnert mindestens an den Gollum aus "Herr der Ringe", ein Wesen aus den Tiefen des Unterbewusstseins. Sie tritt auf, und es ist Schluss mit lustig. Und dabei bleibt es nahezu auch. Wenngleich die Josefstädter Garde der Nicht-mehr-ganz-Jungen unter der Leitung des martialischen Alexander Waechter als Feenkönig Stellaris (mit Sonnenbrille) allerlei Virtriol-Spass hat und macht - Marianne Nentwich und Lotte Ledl als spinnefeindliche Feen, Maria Urban und Bernd Ander als an sich jugendlich gedachtes Liebespaar, Gideon Singer und Marianne Chappuis als farbige Ergänzung.
Die Bühne bleibt weitgehend leer (Florian Parbs), mit ein paar herabgesenkten Versatzstücken, die Kostüme (Nicole von Graevenitz) sind heutig und passend zwischen schrill und armselig. Die drei abgewrackten Gesellen stolpern auf die Bühne - Rafael Schuchter, ein wahrer, hohläugiger Melancholiker, dem alles schief gelaufen ist, als Leim; Florian Teichtmeister, ein dürrer, unsicherer, die Unsicherheit überzappelnder Zwirn; und schließlich Martin Zauner mit speckigem, ins Gesicht hängenden Haar als ein Knieriem, der gerade unter der nächsten Brücke hervorgekrochen scheint. Man kann menschliches Elend, ohne die sonst mildernd wirkende Lustigkeit, nicht deutlicher hinstellen. Lebensperspektive? Der erste will sterben. Der zweite will sich blindwütig unterhalten. Der dritte will saufen. Was kann Geld daran ändern?
Leim wird, wie gesagt, beim Schwiegervater (triefend: Toni Slama) bürgerlich, er kriegt dafür sein Dümmlichkeit sprühendes Mädchen (Daniela Golpashin), und nun wird von ihm erwartet, glücklich zu sein. Wenn man ihn später wieder sieht, bierernst, mit Hosenträgern, erschrickt man richtig: Was ist aus diesem Menschen geworden? Das soll das Glück sein?
(Der Neue Merker)

Regie
Georg Schmiedleitner

Bühnenbild
Florian Parbs

Kostüme
Nicole von Graevenitz

Dramaturgie
Ulrike Zemme

Licht
Manfred Grohs

Regieassistenz
Anna-Sophie von Gayl

Regieassistenz
Valerie Voigt-Firon

Ton
Thomas Haas

Ton
Michael Huemer

Stellaris, Feenkönig/Pantsch, Wirt und Herbergsvater in Ulm/Strudl, Gastwirt "Zum goldenen Nockerl" in Wien
Alexander Waechter

Fortuna, Beherrscherin des Glücks, eine mächtige Fee/Gertrud, Haushälterin in Hobelmanns Haus
Lotte Ledl

Brillantine, Fortunas Tochter
Maria Urban

Amorosa, eine mächtige Fee, Beschützerin der wahren Liebe/Signorina Palpiti
Marianne Nentwich

Mystifax, ein alter Zauberer/Fassl, Oberknecht in einem Brauhaus/Erster Bedienter bei Zwirn
Gideon Singer

Hilaris, Mystifax' Sohn/Zweiter Bedienter bei Zwirn
Bernd Ander

Fludribus, Sohn eines Magiers
Marianne Chappuis

Lumpazivagabundus, ein böser Geist/Ein Hausierer/Ein Tischlergesell/Ein Fremder/Herr von Windwachel/Fotograf
Erni Mangold

Leim, ein Tischlergeselle
Rafael Schuchter

Zwirn, ein Schneidergeselle
Florian Teichtmeister

Knieriem, ein Schustergeselle
Martin Zauner

Sepherl, Kellnerin/Anastasia Hobelmann/Camilla
Susanna Wiegand

Hannerl, Kellnerin/Reserl, Magd in Hobelmanns Haus/Laura
Therese Lohner

Hobelmann, Tischlermeister in Wien
Toni Slama

Peppi, Hobelmanns Tochter
Daniela Golpashin