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Kammerspiele der Josefstadt
Premiere: 11.02.2016

Florian Zeller

Vater

ca. 1 Stunde, 30 Minuten, keine Pause

Aus dem Französischen von Annette und Paul Bäcker

Ich habe bemerkt, dass irgendetwas Seltsames passiert … Als hätte ich kleine Löcher. Im Gedächtnis. Fast nichts. Kriegt keiner mit. Winzig klein. Mit bloßem Auge nicht zu sehen. Aber ich, ich spüre es.
André

Wie erzählt man von Alzheimer? Der junge französische Autor Florian Zeller hat für sein vielfach ausgezeichnetes Stück Vater einen ungewöhnlichen Zugang gewählt. Er zeigt die Krankheit nicht aus der Sicht der Umgebung, sondern aus der des Erkrankten: André merkt, wie sich etwas verändert. Dinge verschwinden, er vergisst, fühlt sich bedroht, verfolgt und zunehmend hilflos. Vor seiner Tochter Anne versucht er verzweifelt den Eindruck von Normalität aufrecht zu erhalten, aber es gelingt ihm immer weniger. Lebt er zu Anfang noch allein in seiner Wohnung und ist unabhängig, muss ihm Anne bald Pflegehilfen organisieren, mit denen sich der stolze Mann jedes Mal zerstreitet. Seine Tochter möchte mit ihrem Lebenspartner nach London gehen, dieser Plan scheint angesichts der Situation aber undurchführbar.

In einem theatralen Vexierspiel erzählt das Stück von der Suche Andrés nach sich selbst, von dem Verlöschen einer Welt und dem Entstehen einer neuen und balanciert dabei behutsam zwischen Tragik und Komik.

Der 1979 in Paris geborene Romancier und Dramatiker Florian Zeller ist einer der begabtesten zeitgenössischen Autoren Frankreichs. Bereits 2004 wurde er mit dem "Prix Interallié", dem wichtigsten Literaturpreis Frankreichs, ausgezeichnet. Zellers Stück Vater wurde 2012 im Pariser Théâtre Hébertot mit großem Erfolg uraufgeführt und im Juni als das beste Stück 2014 mit dem Theaterpreis "Molière" ausgezeichnet.

Beklemmende Verwirrung vermittelt sich vielschichtig in dieser betroffen machenden Aufführung. Allein schon das Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt ist raffiniert: Eine Wohnung mit Wänden aus leicht gerilltem Plexiglas, hinter denen man nur Schatten erkennt. In dieser scheinbar transparenten Flexibilität, in der auch die meisten Personen austauschbar werden, findet sich der Kranke bald nicht mehr zurecht. Ja, dieser von Erwin Steinhauer in 90 Minuten intensiv gespielte Vater nimmt die Zuseher auf seiner Irrfahrt tatsächlich mit - ein Abend der Einfühlung. Die Regie ist klugerweise sparsam mit Ironie.
Steinhauer spielt eine beeindruckende Skala der Gefühle, Drassl ergänzt ihn ideal in Schattierungen des Leids.
(Die Presse)

Der schrittweise Verfall eines Alzheimerpatienten geht schleichend vor sich. André (Erwin Steinhauer) ist der charmanteste Spätsechziger der Welt. Unübersehbar sitzt er im eleganten Dreiteiler auf der Bühne der Wiener Kammerspiele. Freundlich schwätzend legt er Karten. Er wirkt gallig und zugleich gemütvoll, wie das so hinreißend widerspruchsvoll eben nur ein Steinhauer sein kann. Obwohl ein charmantes Untier, ist er gegen seine letzte Pflegehilfe vulgär und handgreiflich geworden. Tochter Anne (Gerti Drassl) kann ihre Besorgnis um den vergesslichen Papa kaum noch verhehlen. Das Demenzstück "Vater" des Franzosen Florian Zeller (36) ist eine klinisch böse "König Lear"-Variante. Ein eben noch übermächtiger Popanz stürzt tief hinab in die finstere Nacht des Vergessens. Dem Zuschauer wird lediglich Andrés Blickwinkel zugestanden. Was er sieht und hört, muss ihn ebenso nachhaltig befremden wie den zusehends verdatterten, sich selbst entgleitenden, dabei rasend vitalen Mann. Steinhauer gibt den Tollhäusler, der, keiner Zurechnung mehr fähig, immer häufiger zur Salzsäule erstarrt. Steinhausers wegen ist diese heftig akklamierte Aufführung aber durchaus nicht zum Vergessen.
(Der Standard)

Es ist ein trickreiches und grausames Spiel mit dem Verstand, das das Stück "Vater" spielt. Mit beiläufiger Leichtigkeit und ohne pflichtschuldiges Betroffenheits-Humorverbot zeichnet "Vater" viele Facetten des Lebens mit Demenzkranken: Das schlechte Gewissen, das Anne ständig plagt, der Sarkasmus von Pierre (Martin Niedermair), ihrem Mann (oder wer dieser unsympathische Typ da in ihrem Wohnzimmer immer ist), der aus rechtschaffender Überforderung entsteht.
Souverän gelingen Erwin Steinhauer die Szenen, in denen André sich zum unverhofften Charmeur gegenüber der neuen Pflegerin Laura (Eva Mayer) aufschwingt, die Szenen, in denen André wieder zum Kind wird, das sich nach Albernheit sehnt, und die Szenen, in denen André mit zunehmendem, ungläubigen Grauen die Löcher in seinem Gedächtnis diagnostiziert. Regisseurin Alexandra Liedtke hat zwar nicht die originellsten Bilder für einen verwirrten Geist gefunden, aber sie sind effektiv.
(Wiener Zeitung)

Florian Zeller ist einer der gefragtesten jungen Dramatiker Frankreichs. Sein Stück "Vater" zeigt weshalb. Darin erzählt er vom Kampf eines an Alzheimer Erkrankten gegen das Vergessen. Erwin Steinhauer brilliert in der Titelrolle. Alexandra Liedtke inszenierte famos.
Erwin Steinhauer zeigt André als einen Typen, den man vulgo ein "gestandenes Mannsbild" nennen würde. André steht Mitten im Leben. Kraftvoll, charmant, aber auch mit den Allüren eines Machos tyrannisiert er seine Tochter und seine Pflegerinnen. Und das gibt der Rolle eine unfassbare Kraft. Florian Zeller zeigt, es kann jeden treffen, jederzeit.
Raimund Orfeo Voigt hat für Alexandra Liedtkes präzise, eindringlich-eindrucksvolle Inszenierung ein ideales Bühnenbild aus transparenten Plastikwänden geschaffen. Liedtke zeigt eine scharfe Analyse einer zerstörten Psyche, die sich im diffusen Licht der Wände verliert.
Gespielt wird ausgezeichnet. Gerti Drassl zeigt realistisch, wie die Krankheit des Vaters auch das Leben der Tochter zu zerstören droht. Von Therese Lohner, Martin Niedermair, Eva Mayer und Oliver Huether lässt sich nur Bestes berichten.
(NEWS)

Die Tragikomödie wurde 2014 mit dem Prix Molière ausgezeichnet und erweist sich auch in Wien, in Liedtkes Händen, als toller Text. Zeller beschreibt die Erkrankung aus der Sicht des Betroffenen. Der Zuschauer nimmt wahr, was der "Vater" wahrnimmt, erkennt, wen er erkennt, muss glauben, was er glaubt. Das sorgt nicht nur für situationskomische Momente, sondern entwickelt sich wie ein Psychothriller, wie ein hitchcockiges Suspencespiel, in dem ein sinistrer Geheimdienst den Helden um den Verstand bringen will.
"Vater" ist der Abend des Erwin Steinhauer. Er ist als André von berührender Intensität, ist genau die Art liebenswertes Scheusal, die einem ein verständnisvolles Lächeln entlockt. Wenn Steinhauer den Schalk macht, kann man gut mit ihm schmunzeln, wenn er weint, verzweifelt ist, Angst hat, dann ist es kaum zu ertragen; sein Spiel wechselt von reizend zu reizbar und retour. Eine preisverdächtige Darbietung.
Regisseurin Liedtke hat diesen geistigen Verfall behutsam in Szene gesetzt. Ganz zart und sachte nähert sie sich Zellers Figuren und führt die Schauspieler durch deren Geschichte. Ihre Arbeit legt sich wie ein Seidenschal über das menschliche Drama. Gerti Drassl ist von großer Wahrhaftigkeit. Ihr Schmerz und ihre grüblerische Sorge scheinen, nein: sind echt. Nervös sprudeln die Worte aus ihr hervor, als Laure kommt. Deren Vorgängerin wurde nämlich mit der Vorhangstange verjagt. Doch Eva Mayer geht mit einer Gemütsruhe an die Sache heran, als hätte sie das Lied von Bernadette inhaliert. Therese Lohner ist außer Anne auch Laura und am Ende eine Krankenschwester, sozusagen berufsbedingt freundliche, aber bestimmt. Ihr Wechselspiel, diese mehreren Facetten eines Menschen, schildern die Schauspielerinnen mit großer Prägnanz.
Es ist mutig und wichtig, dass sich die Kammerspiele der Sache auf diese verständnisvolle Weise angenommen haben. In einer großartigen Inszenierung mit einem überragenden Erwin Steinhauer.
(Mottingers Meinung)

Raffiniert gebaut. Sehr behutsam arrangiert Regisseurin Alexandra Liedtke die Begegnungen zwischen Vater und Tochter, Schwiegersohn, Pflegerin und Krankenschwester.
Erwin Steinhauer liefert als André eine beeindruckende Leistung: Er ist selbstherrlich, aufbrausend, weinerlich, charmant, übergriffig, bösartig, kindlich, armselig, verzweifelt, herrisch und mitleidserregend - und das alles im meist nahtlosen Wechsel. Vor allem ist er aber verloren in der Haltlosigkeit der ständigen Veränderung, die ihm zunehmend den Boden unter den Füßen wegzieht. Ein beklemmendes Kammerspiel.
(APA)

In seinem dramaturgisch durchaus gelungenen und dichten Stück verkneift sich der Autor trotz Tragik nicht den Humor. Kurzweilig.(...)Florian Zeller erzählt den Verlust der Wirklichkeit mit französischer Leichtigkeit, mit Esprit.(...)Erstaunlich ernst und zurückgenommen erscheint Erwin Steinhauer als Vater auf dem Weg in sein eigenes, von der Umwelt fast abgeschottetes Reich. Er zeigt gegen Ende sogar kindliche Züge - das aber ohne kindisch zu sein. Besonders überzeugend seine Resignation im sehr leisen Finale. Gerti Drassl als seine Tochter Anne begegnet der Situation mit Ratlosigkeit: Unlösbar scheint ihr der Zustand des Vaters, ja sogar rätselhaft. Starke Figur an ihrer Seite ist Martin Niedermair als Pierre, ein Mann, der nicht gleich die Flucht ergreift. Eva Mayer als lebensfrohe Pflegerin Laura, Oliver Huether als "ein Mann" und Therese Lohner als "eine Frau" treffen die Gestalten "wie aus geheimnisvoller Zwischenwelt".
(Kronen Zeitung)

Sehr raffiniert hat Zeller seine Alzheimer-Studie "Vater" gebaut, erzählt er doch die Stadien der Krankheit und ihre Folgen aus der Perspektive der Erkrankten.(...)Man steigt somit direkt in Andrés Kopf ein und sieht in dieser Rolle einen Erwin Steinhauer der Extraklasse. Virtuos und nahtlos changiert Steinhauer zwischen Charme und Bösartigkeit, zwischen Selbstherrlichkeit und Weinerlichkeit, zwischen Machtbewusstsein und tiefster Verzweiflung bis hin zu einer wunderschön gespielten, mitleiderregenden Verlorenheit. Eine Meisterleistung Steinhauers, die unter die Haut geht. An Steinhauers Seite ist die großartige Gerti Drassl als seine Tochter Anne zu erleben. Drassl zeichnet eine junge Frau, die aus Liebe zu ihrem Vater bis zur Selbstaufopferung geht, zugleich aber ein eigenes Leben, ein Recht auf Selbstbestimmung einfordert. Martin Niedermair als Schwiegersohn, Eva Mayer als Krankenschwester sowie Therese Lohner und Oliver Huether passen sich dem exzellenten Niveau der beiden Hauptprotagonisten an. Ein Abend, der sehr wehtut, aber lohnt.
(KURIER)

Die Kammerspiele der Josefstadt luden zur Premiere eines tollen tragikomischen Boulevard-Stücks über einen Alzheimer-Kranken, und was es da zu sehen und hören gab, war beachtlich.(...)Berührende, zum Teil erheiternde Szenen. In Alexandra Liedtkes präziser und kluger Inszenierung beeindruckte Erwin Steinhauer als zunehmend verlorengehender André. Gerti Drassl liefert als seine überforderte Tochter Anne eine hinreißende Performance. Jubel.
(Österreich)

Zu Recht ernten das Stück, Alexandra Liedtke und besonders die famosen Schauspieler großen Beifall an diesem kurzen, berührenden Abend.
(FAZ)

Regie
Alexandra Liedtke

Bühnenbild
Raimund Orfeo Voigt

Kostüme
Su Bühler

Dramaturgie
Cinja Kahl

Licht
Emmerich Steigberger

Video
Moritz Grewenig

André
Erwin Steinhauer

Anne, Andrés Tochter
Gerti Drassl

Pierre
Martin Niedermair

Laura
Eva Mayer

Ein Mann
Oliver Huether

Eine Frau
Therese Lohner