Premiere: 09.09.2010
Thomas Bernhard
Heldenplatz
ca. 2 Stunden, 30 Minuten, eine Pause
Am 15. März 1938 verkündete Adolf Hitler unter Jubelrufen der anwesenden Wiener auf dem Heldenplatz den Anschluss Österreichs an Deutschland. 50 Jahre später versammeln sich in einer Wohnung in der Nähe des Heldenplatzes die Familie Schuster und der engste Freundeskreis. Der Anlass: das Begräbnis von Professor Josef Schuster. Für diesen philosophischen Kopf, von den Nazis verjagt, in den fünfziger Jahren aus Oxford auf seinen Lehrstuhl zurückgekehrt, gab es keinen anderen Ausweg als den Selbstmord. Denn die Situation im gegenwärtigen Österreich sei "noch viel schlimmer als vor fünfzig Jahren".
Heldenplatz entstand im Auftrag von Claus Peymann als Beitrag zum 100. Jahrestag des Wiener Burgtheaters 1988, das Stück löste noch vor der Premiere einen riesigen Skandal in Österreich aus. Anlässlich der Uraufführung im "Bedenkjahr" 1988 wurde der Text mehrheitlich als politisches Thesenstück aufgenommen; man diskutierte vor allem über die Richtigkeit der Gegenwartsdiagnose, die Robert Schuster auf dem Heimweg vom Begräbnis seines Bruders abgibt. Als besonders polemische Sätze noch vor der Uraufführung über österreichische Medien an die Öffentlichkeit gelangen, brach eine leidenschaftliche Auseinandersetzung los. Die Premiere am 4. November 1988 wurde für Thomas Bernhard zu einem letzten, triumphalen Erfolg.
Tiedemann inszeniert seine Zweieinhalb-Stunden-Version sehr präzise, mit viel Sinn für die Musikalität des Textes, hat interessante optische und akustische Ideen. Bravo! Er gibt seinen Darstellern den Takt vor. (...) Hervorragend Michael Degen als Robert Schuster, der die Attacken gegen die Alpenrepublik mit Charme und Witz und ein wenig Trottelei vorträgt. Marianne Nentwich ist eine wunderbar zickige Haushälterin Frau Zittel, Sona MacDonald großartig als verbitterte Tochter Anna.
Regisseur Tiedemann hat ein feines Gefühl für Musikalität, stellt der Bernhard’schen Komposition wohl deshalb eine Percussiongruppe bei. Klirren, Klappern und Bürstgeräusche mit Armreifen, Schubladen und Schuhputzzeug. Gläser werden auf den Esstisch geknallt – ein Geräusch wie von SS-Stiefeln. Small Talk wird mehr und mehr zu Sieg-Heil-Rufen. Gleich einem Dirigenten gibt der Regisseur den Takt dieser Inszenierung vor.
Michael Degen ist Bernhards Beschwerdeführer gegen die österreichischen Zustände. Als Robert Schuster trägt er dessen Attacken auf die Alpenrepublik stets mit einem Augenzwinkern vor – das ist Alterserscheinung und Spitzbüberei zugleich.
(Kurier)
Im Kern aber bleibt eine unsterbliche Bühnengestalt von großer Traurigkeit: Professor Robert Schuster, heimgekehrter Emigrant und Bruder eines Selbstmörders, der an der österreichischen Realität zerschellt, wird von Michael Degen grandios verkörpert. (...) Seine Redeschwälle sind von grandioser rhetorischer Schärfe. Er gibt den Hanswurst im Narrenkostüm des Bernhard-Krüppels und verleiht der Gestalt doch enorme tragische Dimension. (...) Kompliment an den Regisseur Philip Tiedemann, der seinem Lehrer Peymann etwas entgegenzusetzen hat.
(News)
Michael Degen brilliert in "Heldenplatz". Eine hochkonzentrierte und selten so präzise Schauspielkunst bringt einen (...) irrwitzigen Suada-Tonfall zuwege, der der Motor des Stücks ist. Dafür stehen an erster Stelle Michael Degen als Professor Schuster und Marianne Nentwich als Haushälterin Zittel.
Ein Schauspieler wie Michael Degen, der in hochtemperierten, zielsicher anschwellenden Sätzen spricht und dabei seiner der Rede innewohnenden Müdigkeit immer rechtzeitig nachgibt, so ein Schauspieler hält das Bernhard’sche Mantra von sich aus so kunstvoll angehoben in Betrieb, dass es keines (…) szenischen Kommentars bedarf.
(Standard)
Die mehr oder weniger familienhasserfüllten Kurzauftritte des ungehobelten Siegfried Walther als Professorensohn, der verbissenen Gertraud Jesserer als Professorenwitwe, der zerquälten Elfriede Schüsseleder als Professorentochter oder des robusten Wolfgang Pampel als Professorenkollege geraten dabei zu Kabinettstücken, die zeigen, wie man eigentlich nur dem Ungeschriebenen, zwischen den Zeilen Improvisierten bei Bernhard so etwas wie Psychologie anbringen kann.
(FAZ)
Zentren der Aufführung werden Marianne Nentwich, die als Haushälterin Frau Zittel den hübsch durchchoreographierten ersten Akt dominiert und deren Bügel-Ballett Silvia Meisterle mit Schuhputz-Stakkatos untermalen darf, und Sona MacDonald als sehr präsente, klarsichtige Nichte Anna, die ihre Schwester (Elfriede Schüsseleder) auf freundlich-perfide Weise dominiert.
(APA)
Philip Tiedemanns angenehm zurückhaltende Regie hat die Zeichen einer gewandelten Zeit erkannt (...). Michael Degen, der sich selbst als jüdisches Kind jahrelang vor den Nazis verstecken musste, gestaltet nun diesen Berufsbeleidiger und rettungslosen Österreicher Robert Schuster voll Sympathie neu: als grazile, auf ihren Krücken mal tänzerische, mal selbstverliebt hinfällige Kunstfigur.
(FAZ)
Eine makellose Inszenierung, die auf die nach wie vor gültige Aussagekraft des geschickt eingekürzten Textes vertraut.
Ihren Höhepunkt erreicht die Inszenierung im großartig ausgeleuchteten zweiten Bild, wenn der Bruder des Toten und dessen Töchter auf der Rückkehr vom Begräbnis am Döblinger Friedhof im nebelverhangenen Volksgarten Station machen.
Die den Abend charakteristische schmerzhaft-böse Melancholie bringt deutlicher als aggressive Österreich-Scheltreden die Isolation von Menschen in einer allem "Fremden" misstrauenden Gesellschaft zum Ausdruck. Ein großer Abend für das Theater in der Josefstadt und ein großer Abend für Thomas Bernhard.
(Wiener Zeitung)
Regisseur Philip Tiedemann und seinem Ensemble ist eine hervorragende Interpretation gelungen, die vor allem Michael Degen als Professor Schuster zu einer Hommage an den sterbenden Dichter macht. Auch durch Marianne Nentwich als Wirtschafterin des verstorbenen Professors Josef Schuster und Sona MacDonald als dessen Tochter Anna wird dieser Abend zum Erlebnis. Sie setzen die Musikalität wirkungsvoll um.
Die schönste Szene am Schluss, am Ziel, gibt es für Gertraud Jesserer. Sie spielt die Witwe mit einem tragischen Gesicht, das man nicht vergessen wird.
(Presse)
Herausragend (...) ist Michael Degen als Robert Schuster: mit welcher Geschmeidigkeit und Schelmenhaftigkeit er jene Rolle anlegt, die Bernhard zur größten Österreich-Beschimpfung ausholen lässt.
(Profil)
Regie
Philip Tiedemann
Bühnenbild
Etienne Pluss
Kostüme
Stephan von Wedel
Musik
Ole Schmidt
Dramaturgie
Katharina Schuster
Licht
Manfred Grohs
Regieassistenz
Anna-Sophie von Gayl
Ton
Michael Huemer
Ton
Karl Szalay
Ton
Jakob Schell
Robert Schuster, Professor, Bruder des verstorbenen Professors Josef Schuster
Michael Degen
Anna, Tochter des Verstorbenen
Sona MacDonald
Olga, Tochter des Verstorbenen
Elfriede Schüsseleder
Lukas, Sohn des Verstorbenen
Siegfried Walther
Hedwig, genannt Frau Professor, die Frau des Verstorbenen
Gertraud Jesserer
Professor Liebig, ein Kollege
Wolfgang Pampel
Frau Liebig
Sigrid Marquardt
/ Lotte Ledl
Herr Landauer, ein Verehrer
Friedrich Schwardtmann
Frau Zittel, die Wirtschafterin des Verstorbenen
Marianne Nentwich
Herta, sein Hausmädchen
Silvia Meisterle