Premiere: 03.04.2014
Milan Dor / Stephan Lack
Die Schüsse von Sarajevo
Uraufführung / Nach Motiven des Romans "Der letzte Sonntag" von Milo Dor
ca. 2 Stunden, 5 Minuten, eine Pause
Nach Motiven des Romans "Der letzte Sonntag" von Milo Dor.
"Ich bitte Sie, mich mit dem Attentäter allein zu lassen!" (Leo Pfeffer)
Sarajevo 1914. Ein heißer Junitag. Eine entfernte Explosion und Revolverschüsse. Der k.u.k. Justizbeamte Leo Pfeffer liegt gerade in den Armen seiner Geliebten Marija, als das Attentat auf das österreichische Thronfolgerpaar geschieht. Nur wenige Stunden später wird er als Untersuchungsrichter mit den Ermittlungen an der Ermordung Franz Ferdinands und dessen Gemahlin beauftragt.
Man erwartet von Pfeffer, schnellstens die Beweise für eine Beteiligung Serbiens am Attentat zu erbringen und die Rechtfertigung für ein militärisches Vorgehen gegen den verhassten Balkanstaat zu liefern. Die festgenommenen Attentäter, unter ihnen der Todesschütze Gawrilo Princip, streiten eine Verbindung zur serbischen Regierung vehement ab und geben an, auf eigene Faust gehandelt zu haben.
Selbst mit der verwitweten Serbin Marija liiert, kennt Pfeffer die nationalistischen Ideale, welche die Attentäter antreiben. Mit modernen Verhörmethoden und psychologischem Feingespür gelingt es ihm Stück für Stück, die jungen Männer zum Reden zu bringen. Je tiefer er in ihre Gedankenwelt eintaucht, desto mehr kann er ihre Beweggründe nachvollziehen, auch wenn er ihre Tat natürlich nicht gutheißen kann.
Unterdessen finden in Sarajevo Ausschreitungen gegen die serbische Bevölkerung statt, von denen auch Marijas Familie betroffen ist. Als schließlich auch ihr Sohn Miloš – der sich im Dunstkreis der Attentäter bewegte – verhaftet wird, wendet sie sich verzweifelt an Pfeffer. Dieser muss erkennen, dass er mit seiner unbeugsamen Suche nach der Wahrheit nicht nur im Begriff ist, seine Karriere aufs Spiel zu setzen, sondern auch die Liebe von Marija … (Milan Dor und Stephan Lack)
Anlässlich des 100. Jahrestages des Attentats von Sarajevo dramatisieren Milan Dor und Stephan Lack den Roman von Milo Dor.
In Herbert Föttingers Regie gerät das zum Psychothriller vor historischem Hintergrund. Walter Vogelweiders düstere Bühne stellt eine klaustrophobische Gefängnissituation her. In der Hauptrolle zeigt der vorzügliche Erwin Steinhauer als Zerrissener zwischen Pflicht und Moral die Ohnmacht des Einzelnen gegenüber dem Staatsapparat. Exzellent: Julia Stemberger, Heribert Sasse.
(News)
Der Text ist stark und spannend.(…)Erwin Steinhauer spielt den Leo Pfeffer großartig verhalten(…).Sehr gut bei ihrem Josefstadt-Debüt Julia Stemberger als Pfeffers Geliebte Marija, die ganz Gefühlsmensch ist.
(Kurier)
Ein heißer, sonniger Sonntag war dieser 28.Juni 1914, nach dem julianischen Kalender, den orthodoxe Christen bis heute verwenden, der Sankt-Veits-Tag, der Vidovdan. An diesem Tag jährte sich auch die für das Königreich Serbien bedeutende Schlacht auf dem Amselfeld zum 525. Male- Also genau der richtige Zeitpunkt für die Besatzungsmacht Österreich-Ungarn, im wenige Jahre zuvor unter stillschweigender Duldung der übrigen Herrscher Europas annektierten Bosnien-Hercegovina Militärmanöver abzuhalten. Gekrönt durch den Besuch des Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Gemahlin. Ein Geschenk für potentielle Attentäter.
Die Folgen sind bekannt: Julikrise, Ultimatum, Kriegserklärung Wiens an Serbien, für die anderen Großmächte traten diverse Bündnisfälle ein, der erste Weltkrieg des zwanzigsten Jahrhunderts begann.
Vor über dreißig Jahren hatte Milo Dor (1923 bis 2005) gemeinsam mit seinem Sohn Milan zum Thema ein Drehbuch, darauf beruhend 1982 den Roman "Die Schüsse von Sarajevo" geschrieben, der sich hauptsächlich mit den Tätern, dem Bombenwerfer Cabrinović und dem Todesschützen Gavrilo Princip und ihrem Untersuchungsrichter, Leo Pfeffer, gleichfalls eine historische Person, befasste. Auf diesem Buch basiert nun das gleichnamige Stück von Milan Dor und Stephan Lack, jetzt uraufgeführt im Wiener Theater in der Josefstadt.
Unendlich langsam hebt sich der eiserne Vorhang, nach und nach wird auf der Bühne eine hohe Fabrikhalle sichtbar. Große Fensterflächen oben, drei Türen, eine im Hintergrund, zwei seitlich, eine davon erhöht nur über eine steile Metalltreppe zu erreichen, ein Treppenabgang in ein Untergeschoss. Diese, von Walter Vogelweider entworfene Allzweckszenerie dient dem regieführenden Hausherrn Herbert Föttinger als Bureau des Richters, als dessen Wohnung und einige andere Schauplätze. Schreib- oder Esstische und Sitzgelegenheiten werden herein- oder hinausgebracht, die je passende Raumillusion entsteht so ohne viel Aufwand. Schweigend steht Erwin Steinhauer inmitten der Szene. Soldaten in heutigen Uniformen treten die Türen ein, stürmen das Gebäude. Schüsse fallen, zwei Zivilisten, einer zumindest schwer verwundet, werden weggebracht. Die kurze Episode bietet einen Ausblick, wie die Ereignisse vor einhundert Jahren die Folgezeit bis heute prägen sollten. Diesem Konzept bleibt der ganze Abend subtil, aber beeindruckend treu. Steinhauer, der den aufrechten Untersuchungsrichter Pfeffer ruhig und resigniert spielt, betont freilich mit keinem Augenzwinkern eine Aktualität des Falles. Der Zeit angemessene Kostüme, vom Gehrock über k. k. blaugraue Uniformen bis hin zu den steifen Kragen und dem Korsett von Pfeffers Lebensgefährtin Marija Begović erhöhen die optische Distanz sogar noch. Ganz in unsere Gegenwart aber passt, wie agiert wird. Da ist der Ermittler, der die Beweggründe und die Verantwortung der Täter korrekt rechtsstaatlich klären und diese vor Gericht stellen will. Seinen Vorgesetzten spielt der Josefstadt-Veteran Heribert Sasse aufbrausend und meist peinlich berührt. Ihm ist nur daran gelegen, die offensichtlich Schuldigen möglichst rasch an die Gerichtsbarkeit zu abzuschieben. Eine lange Ermittlung? Zu viel Ungemach.
Der konkurrierende Polizeichef Iwasiuk schreckt auch vor Folter nicht zurück. Toni Slama verkörpert ihn verschlagen und arrogant, mit antiserbischen Anwürfen nicht geizend, denn Pfeffer ist schließlich mit einer Serbin liiert. Alles, was die serbische Regierung belastet, genießt Iwasiuk förmlich. Denn nicht umsonst ist Sektionsrat Wiesner aus Wien angereist, der keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen Pfeffer macht, der zwar getauft ist, aber, "so impertinent kann nur ein Jud’ sein", der Beweisführung zur eindeutigen Spur nach Belgrad nicht zustimmen will. Beweise? Wer braucht die schon, dem Kriegsministerium reichen Indizien! Und die Zeit drängt. Also verhaftet man schnell noch, ohne ausreichende Gründe, den Begović Sohn, um Druck auf Pfeffer auszuüben.
Die Anfangsszene war vielleicht zu viel des Deutlichen. Doch wird hier ein ziemlich beeindruckender, in seiner Ausweglosigkeit für den Einzelnen steiler Pfad in den Abgrund beleuchtet. Die konkreten Attentäter bleiben dabei Statisten, sind eigentlich austauschbar. Das psychologische Drama um Menschen wie Pfeffer kann aber immer wieder passieren: als ein Teufelskreis aus Abhängigkeiten. Das sieht man an diesem Abend. Und das ist schon sehr viel und recht schön.
(FAZ)
Pfeffer wird weder den Weltfrieden noch seine Liebe retten, seine Spur verliert sich in den Schützengräben. Weltgeschichte als Beziehungskiste.(…)Dass es in Herbert Föttingers geschmeidiger Inszenierung trotzdem recht überzeugend rüberkommt, liegt vor allem an Erwin Steinhauer, dessen unsentimentales Spiel keine falschen Gefühle aufkommen lässt.
(Süddeutsche Zeitung)
Erwin Steinhauer spielt den Untersuchungsrichter Pfeffer mit seinen Gewissens- und Seelenkonflikten minutiös in die kleinsten Regungen.(…)Ausgezeichnet besetzt die kleinen Rollen.(…) Das Publikum war beeindruckt.
(Kronen Zeitung)
Regisseur Herbert Föttinger malt mit Liebe das Lokalkolorit.(…)Steinhauers Stimme klingt mit ihren weichen Vokalen wie eine Symphonie aus ferner Zeit(…),die Idealbesetzung, ein Ereignis.(…)Das Ensemble beeindruckt, dank typengerechter Besetzung und "guter Führung", speziell: Siegfried Walther als Arzt, Toni Slama als Polizeichef, Heribert Sasse als Gerichtspräsident.(…)Überzeugend auch die Burschen, Josef Ellers als Princip, vor allem Matthias Franz Stein als Lehrer Illic.
(Die Presse)
Erwin Steinhauer vermag als Richter zu berühren.(…)Wie ein Monument aus Stein steht der Mime in Föttingers Landschaft der Qualen. Er bildet das imposante Zentrum.
(Der Standard)
Auf der Folie der Liebesbeziehung zwischen Leo und Marija wird Geschichte vermittelt, am Ende geht der Blick des Paares optimistisch in die Zukunft. Herbert Föttingers Regie verdeutlicht die Vermischung von Privatem und Politischem. Klug halten Inszenierung und Stück die überparteiliche Balance, keine ideologische Position wird verdammt oder verteidigt: Ein Plädoyer für Toleranz und Offenheit.
(Salzburger Nachrichten)
Mit der Dramatisierung von Milo Dors Roman "Der letzte Sonntag" durch dessen Sohn Milan und den Dramatiker Stephan Lack lieferte das Theater in der Josefstadt Donnerstagabend dank der unaufgeregten, soliden Inszenierung des Hausherrn Herbert Föttinger einen gelungenen Beitrag zum Gedenkjahr 1914/2014.(…)Zu verdanken ist die Wucht des intimen Blicks auf historisch verbriefte Vorgänge auch den Hauptdarstellern Erwin Steinhauer und Josefstadt-Debütantin Julia Stemberger.
(APA)
Regie
Herbert Föttinger
Regiemitarbeit
Valerie Voigt-Firon
Bühnenbild
Walter Vogelweider
Kostüme
Birgit Hutter
Musik
Christian Brandauer
Dramaturgie
Ulrike Zemme
Licht
Emmerich Steigberger
Leo Pfeffer, Untersuchungsrichter
Erwin Steinhauer
Marija Begovic, Pfeffers Geliebte, Serbin
Julia Stemberger
Viktor Iwasiuk, Polizeichef von Sarajevo
Toni Slama
Dr. Sattler, Arzt
Siegfried Walther
Chmielewski, Gerichtspräsident
Heribert Sasse
Herbert Föttinger (ab 05.01.2015)
Gavrilo Princip, Student, Attentäter
Josef Ellers
Nedeljko Cabrinovic, Student, Attentäter
Alexander Absenger
Danilo Ilic, Lehrer, Organisator des Attentats
Matthias Franz Stein
Jasna, Kellnerin
Eva Mayer
Franz Graf von Harrach, Adjutant des Thronfolgers
Alexander Strobele
Leopold Loyka, Chauffeur
Peter Scholz
Wiesner, k. u. k. Beamter des k. u. k. Außenministeriums
Michael Schönborn
Rabbiner
Gideon Singer
Dr. Sutej, Schriftführer bei Gericht
David Jakob
Soldat
Michael Edlinger
Robert Hager
Gregor Kronthaler
Stefan Maschel
Manfred Passrugger
Markus Raunig
Borys Sokol
Manuel Waitz
Dominik Hell-Weltzl