Premiere: 01.12.2016
Johann Nestroy
Das Mädl aus der Vorstadt
ca. 2 Stunden, 15 Minuten (Pause nach ca. 75 Minuten)
Die wohlhabende Frau Erbsenstein ist eine wahrhaft gute Partie und mit dem jungen Gigl verlobt. Der jedoch verliebt sich auf den sprichwörtlich ersten Blick in Thekla, ein Mädl aus der Vorstadt mit einem dunklen Geheimnis. In dieser Vorstadt sucht auch der Geschäftsmann Kauz, Frau Erbsensteins umtriebiger Onkel, seine amourösen Abenteuer. Viele Verwicklungen für den Winkelagenten Schnoferl, der alle Fäden in der Hand hält und sich wundert: "Der Zufall muss ein b'soffener Kutscher sein – wie der die Leut' z'sammführt, 's is stark!"
Nestroys "Das Mädl aus der Vorstadt" ist im Grunde ein Krimi über Geld, Intrige und Doppelmoral, gemischt mit einer Soap über Liebe, Verwirrung und der Suche nach Glück. Mit unverwechselbar bissigem Sprachwitz schaut Nestroy, der selbst den gewieften Schnoferl spielte, tief in die Facetten der österreichischen Seele. Er brauchte 1841 nur die französische Vorlage "La Jolie Fille du Faubourg" aus dem Pariser Vaudeville ins Wienerische Volkstheater zu übertragen und diese mit der ihm eigenen berührend-komischen Panik vor Armut und Einsamkeit anzureichern, um eine seiner erfolgreichsten Possen zu erschaffen, die bei ihrer Uraufführung enthusiastisch gefeiert wurde.
"Nestroys Dichtung ist das schönste Monument, das je dem Mutterwitz eines Volkes errichtet wurde."
(Alfred Polgar)
Schottenbergs kluge, uneitle Inszenierung ist ein Fest für großartige Schauspieler. Allen voran ist hier die fabelhafte Michou Friesz zu nennen: Als zwischen Jugend und Alter gefangene Witwe Erbsenstein berührt und erheitert sie gleichermaßen, ihr Spiel ist perfekt und komisch, dabei aber abgründig und mehrdeutig. Eine sensationelle Leistung.
Großartig ist auch Thomas Kamper als "Winkelagent" Schnoferl. Martin Zauner ist als notgeiler "Spekulant" Kauz eine hinreißende, bei aller Komik auch herrlich böse Nestroy-Figur. Daniela Golpashin legt das "Mädl" still und geheimnisvoll an, Matthias Franz Stein ist als Gigl ein charmantes, großes Kind. Auch das übrige Ensemble spielt fehlerlos.
Großer Jubel für eine Aufführung, die ein Wiederhören mit so herrlichen Altwienern Nestroy-Wörtern bietet wie: Dalkert, Halawachl, bakschierlich, Pantscherl, Rotzpippn, es pressiert, mir wird so kurios oder Kombenesch.
(KURIER)
Michael Schottenberg inszenierte Nestroys "Mädl aus der Vorstadt". Speziell das junge Paar bezaubert: Daniela Golpashin und Matthias Franz Stein. Matthias Franz Stein als Gigl und seine Thekla, Daniela Golpashin, sind ein entzückendes Paar, das gern rote Mützen tauscht und einen Hauch von Hip-Hop und Anarchie zu diesem Abend beisteuert. Diese beiden stemmen sich gegen den vorherrschenden Egoismus, Zynismus und Opportunismus. Man kann sie sich gut vorstellen, einander streitbar und zärtlich zugetan, mit einer Kinderschar auf dem Land.
Michou Friesz ist köstlich als noch recht jugendlich wirkende Madame Erbsenstein, die zwischen Wut auf ihren entwichenen Verehrer, dem Intrigantentum ihres Standes und Mitleid mit dem armen Hascherl Thekla schwankt. Kamper bringt ein großartig entgeistertes Liebeselend in die Rolle ein. Ljubiša Lupo Grujčić gibt einen Schneider, einen "Mann für alles", fürs Zarte und fürs Grobe. Toll ist die Musik, die teilweise an die 1920er-Jahre erinnert. Das Lokalkolorit und die Typen stimmen.
(Die Presse)
Bar jeglicher Aktualisierungen und Interpretationsversuche zeigt Schottenberg Nestroy als großen Skeptiker an der Menschheit und Virtuosen im Umgang mit Sprache, was er auch war.
Thomas Kamper erfüllt diese Voraussetzung in Gestalt des Schnoferl. Er bringt alles mit, was man für diese Figur braucht: dämonisches Auftreten, Schärfe, eine klare, ausdrucksstarke Sprache und eine Dynamik, die nie aufdringlich wirkt. Michou Friesz zeigt die 27-jährige Erbsenstein mit der noblen Anmutung einer Jeanne Moreau. Matthias Zauner probiert es als Spekulant Kauz mit etwas zu viel Gemütlichkeit. Daniela Golpashin agiert in der Titelrolle mit der Bescheidenheit ihrer Figur. Matthias Franz Stein ergänzt als Gigl ideal, wie der Rest des Ensembles.
Dieses "Mädl" übertrifft die meisten Nestroy-Aufführungen der letzten Zeit in Wien.
(NEWS)
Eine Inszenierung, die der vielschichtigen Sprache und dem Wortwitz Nestroys den verdienten Raum gibt. Vor allem Thomas Kamper als Schnoferl, jener Winkelagent, der eigentlich die Erbsenstein zu der seinen machen würde, damit sie ihm ihre Vorwürfe wenigstens als Gattin macht, exerziert die Nestroy’sche Sprachmacht so wendig wie erfreulich vor. Ähnlich Martin Zauner, er ist als krimineller Spekulant Kauz, dessen Machenschaften Schnoferl mithilfe einiger loser Weiber und des Zufalls, dem "b’soffenen Kutscher", aufdeckt, eine wienerisch-schludrige Trump-Version, also zumindest was das Grapsch-Potenzial angeht. Großes Vergnügen macht auch Michou Friesz als Frau Erbsenstein, die mit müheloser Komödiantik das Dilemma der in der Heiratsbereitschafts-Schleife feststeckenden reiferen Frau auslotet. Die laute Vorstadt-Meschpoche, bei Nestroy lebenslustige Näherinnen, wurde hier gleich in Personal einer "Vergnügungsstätte" inklusive wuchtiger Puffmutter (ehrlich lustig: Susanna Wiegand) umgedeutet.
Die Verwicklungen in Liebes- und Finanzdingen passieren hier in einer zeitlosen, aber hübsch dekorierten Aura der Spießigkeit. Dazu spielt eine Live-Band (Christian Bakanic, Christoph Pepe Auer, Christian Wendt und Andreas Lettner) heitere Swing-Rhythmen.
Feinklingige Unterhaltung mit Pointensicherheit, gewürzt mit gerade noch unvulgärem Schmäh, ohne Experimente und Originalitätszwang. Nestroy, solide, aber mit Schwung. Bakschierlich eben.
(Wiener Zeitung)
Martin Zauner spielt diesen Spekulanten namens Kauz mit der Gelassenheit eines ewig Triumphierenden, lässt aber auch dessen tiefsitzenden menschlich-abwägenden Kern aufleuchten.
Und damit seine bereits weit fortgeschrittenen Verheiratungspläne mit der Witwe Erbsenstein (hinreißend komisch und dynamisch: Michou Friesz) in den Wind schlägt.
(Der Standard)
Nestroys "Mädl" in der Josefstadt: Schottenbergs gelungenes Comeback – er inszeniert routiniert, solide und luftig mit einem großartigen Ensemble.
Es ist eine liebevolle Fingerübung eines Nestroy-Experten, dem man die Freude an der Sache in jeder Szene ansieht.
Wie die 54-jährige Friesz in breitem Wienerisch da über Falten oder Nicht-Falten räsoniert, ist die erste von vielen Freuden an diesem knapp zweieinhalbstündigen Abend, der durchgehend davon lebt, dass Schottenberg niemandem krampfhaft etwas zu beweisen wollen scheint. Und so geht es Schlag auf Schlag weiter, wenn Martin Zauner als gönnerhafter und seinen Trieben verfallener Spekulant Kauz die Bühne betritt und die auf ihren sich verspätenden Verlobten wartende Erbsenstein zu kalmieren versucht. Da ist der wahre Star des Abends jedoch noch gar nicht aufgetreten: Thomas Kamper als Winkelagent Schnoferl bringt schließlich ordentlich Bewegung in die Szene, wenn er einerseits selbst schwer verliebt in die Witwe, aber auch als stets das Geschäft im Kopf habender Strippenzieher die losen Enden des Beziehungschaos' in die Hand nimmt.
Spekulanten, Intrigen und Betrug - das sind zeitlose Motive, die man nicht extra in der Gegenwart spiegeln muss. Und so endet ein rasanter, luftiger Abend, dessen Bissigkeit auch fernab der bluesigen Couplets, die von einer vierköpfigen Band im Orchestergraben begleitet werden, über die Rampe kommt, turbulent. Die große Aufmerksamkeit auf Nestroys Wortwitz trägt maßgeblich zum Gelingen des Abends bei, die leidenschaftliche Interpretation des schrägen Personals durch Friesz, Zauner und Kamper ist eine Freude.
(APA)
Besonders Michou Friesz und Martin Zauner als Spekulant Kauz treffen den Ton zwischen Unschuld und Schuld und verführen uns Nestroy-Idiom. Die Couplets, Jazz und Klezmer inklusive, und die vielen fantastischen Formulierungen lassen Nestroy hochleben.
(Falter)
Mit Nestroy tun sich die hiesigen Bühnen schwer: Seit längerem weiß niemand mehr, welche Art Behandlung man diesem Kronjuwel angedeihen lassen soll. Fast niemand: Denn der aus der Pension zurückgekehrte Volkstheaterdirektor Michael Schottenberg bringt ein gelungenes "Mädl aus der Vorstadt" auf die Bühne der "Josefstadt".
Schottenberg fertigt eine drastische Vorstadtballade aus dem Geist des "Kaisermühlen-Blues", ohne deshalb Nestroys Sprache erkennbar zu vergrößern.
Martin Zauner versieht den Wirtschaftskleinkriminellen Kauz mit dämonischer Libido. Thomas Kamper hat für den Schnoferl die finstere Aufsässigkeit, die man einst an Qualtinger und Franz Morak bewunderte. Michou Friesz verkörpert Sonderformat.
(Kronen Zeitung)
In der Josefstadt ist das "Mädl aus der Vorstadt" in Michael Schottenbergs boshafter, frecher Inszenierung zu erleben. Toll sind Thomas Kamper in der Nestroy-Rolle des Winkelagenten Schnoferl und Martin Zauner als notgeiler Spekulant Kauz; Michou Friesz brilliert als herrlich schrille Frau Erbsenstein, als junges Liebespaar Thekla und Gigl gefallen Daniela Golpashin und Matthias Franz Stein.
(Österreich)
Regie
Michael Schottenberg
Bühnenbild
Hans Kudlich
Kostüme
Erika Navas
Musik
Sabina Hank
Dramaturgie
Doris Happl
Licht
Manfred Grohs
Korrepetition
Engu Song
Kauz, Spekulant
Martin Zauner
Frau Erbsenstein, seine Nichte
Michou Friesz
Dragoljub, ihr Schneider
Ljubiša Lupo Grujčić
Schnoferl, Winkelagent
Thomas Kamper
Gigl, Bräutigam
Matthias Franz Stein
Thekla, Mädl aus der Vorstadt
Daniela Golpashin
Saftl, Besitzer einer Vergnügungsstätte in der Vorstadt
Siegfried Walther
Storch, seine Schwester
Susanna Wiegand
Peppi, seine Tochter
Karoline Kucera
Rosel
Fanny Krausz
Sabine
Josephine Bloéb
Salome
Natalie Heilinger
Trudi
Lisa Wentz
Walpurga
Roya Anahita Mousavi
Akkordeon
Christian Bakanic
Reeds
Christoph Pepe Auer
Kontrabaß
Christian Wendt
Drums
Andreas Lettner