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Theater in der Josefstadt
Premiere: 17.09.2014

Peter Turrini

C'est la vie - Eine Revue

Uraufführung

ca. 1 Stunde, 10 Minuten, keine Pause

Als Kind hatte ich eine schwere Krankheit, eine lebensgefährliche Krankheit, eine Vergiftung. Ich hatte vergiftete Milch zu trinken bekommen.
Das geschah in den letzten Kriegsmonaten häufig, viele Kinder starben daran. Ich kam ins Spital und magerte immer mehr ab, sie legten mich schon in die Totenkammer. Sechs Wochen lang konnten mich meine Eltern nicht besuchen, sie waren ausgebombt und versuchten ein Quartier zu finden. Als mich meine Mutter wieder besuchte, war ich dick und fett und lachte sie an. Ich habe immer das Gefühl, daß ich damals gestorben bin und mich seitdem lächelnd erfinde.

Meine Liebe! Auf der Rückfahrt von Italien habe ich in Kärnten Station gemacht. Bei meinem Eintreffen in Biberach an der Riß und bei unserem Wiedersehen wollte ich irgendwie südlich aussehen, ich komme ja auch von dort. Ich habe mich im Zimmer meines Bruders vor eine Höhensonne gesetzt, ungefähr eine Stunde, ich wollte sehr braun werden. Am nächsten Morgen bin ich um fünf Uhr mit furchtbaren Schmerzen aufgewacht.
Meine Augen brannten wie Feuer, und ich sah alles wie durch einen Schleier. Mein Bruder und meine Schwägerin haben mich sofort zu einer Augenärztin gebracht, irgendwie hatte ich das Gefühl, daß sie das Lachen nicht verkneifen konnte. Sie stellte eine Verbrennung der Bindehaut fest, verklebte meine Augen mit Salbe und Verbänden und trug mir auf, drei Tage und Nächte in diesem Zustand zu verweilen. Heute ist der vierte Tag, und ich schreibe Dir diesen Brief. Am Wochenende werde ich in Biberach sein, ich werde dunkle Brillen tragen und Dich um Entschuldigung für die Verspätung bitten.

Das Schönste am Theater ist, daß man immer wieder alles neu erfinden kann. Am Theater kann man alles behaupten, es muß nur interessant weitergehen. Eine verlebte, laszive, geschminkte, ältere Frau tritt auf und sagt, sie sei eine Hure, leider blieben in letzter Zeit die Freier aus. Interessant, denkt sich das Publikum, und wie geht die Sache weiter?
Die alte Hure wischt sich die Schminke aus dem Gesicht, legt sich einen Schleier um den Kopf, sagt, sie sei die Mutter Teresa und sie hätte gerade den Friedensnobelpreis bekommen. Das Publikum ist keineswegs empört, es will nur wissen, was jetzt kommt. Fährt sie nach Stockholm oder geht sie wieder zurück auf den Strich?
Im Theater ist alles möglich, besonders das Gegenteil. Es ist in keine Ordnung zu bringen.
(Auszüge aus C’est la vie)

Hilde Dalik, Marcello De Nardo, Thomas Mraz, Erich Schleyer, Susanne Wiegand geben dem Berserker, in dem ein zarter Geist wohnt – das ist ein Klischee, vielleicht aber auch ein Teil der Wahrheit – ihre Stimme, ihr Spiel. Vorstellbar wäre diese Revue musikzentrierter, schriller – wie es der Clip auf YouTube, ein Rap in Neonfarben, verspricht. Aber auf diese bescheidene Weise und im wunderbar detailreich mit Requisiten der 1950er- und 1960er-Jahre bestückten Bühnenbild, ereignet sich das Drama des Turrini-Lebens dafür literarisch durch die Sprache. Peter Turrini, wortgewaltiger Eulenspiegel, Nestroy-Nachfahre, Mahner, Polemiker, Minnesänger, Faun: Alles Gute zum Geburtstag!
(Die Presse)

Mit Stephanie Mohr engagierte man genau die richtige Regisseurin, um den an sich eher für eine Lesung gedachten Text, nun ja, nicht unbedingt "in Szene" zu setzen, aber auf die Bühne, sprich: vor den Eisernen Vorhang zu bringen. Vor einer mit überraschend nützlichem Nippes vollgeräumten, setzkastenartigen überdimensionierten Regalwand sagen drei Damen und vier Herren, darunter Josefstadtmitglied Hilde Dalik und Volkstheaterprofis Erich Schleyer und Marcello de Nardo, alle in  Anthrazit und Schwarz als Turrinis verkleidet in schönster Abwechslung ihre Gstanzln auf, klettern an der Wand hoch, lugen aus Türen heraus und entzünden kleine Freudenaltäre. Nach dieser wider Erwarten unterhaltsamen Aufführung schließt man sich gerne den Glückwünschen, nicht nur ans Geburtstagskind, an.
(FAZ)

"C’est la vie – eine Revue" ist die dramatisierte Fassung des jüngsten Buches von Turrini, das wiederum eine Art Bastelarbeit ist: Ausschnitte aus Tagebucheinträgen, Gedichten, Briefen und anderen Texten wurden zu einer assoziativen Reise montiert.
Die Regisseurin Stephanie Mohr machte daraus eine szenische Lesung mit verteilten Rollen – nur, dass nicht gelesen wurde. Fünf Schauspieler – neben Schleyer und Dalik noch Marcello De Nardo, Thomas Mraz und Susanna Wiegand – verkörpern die inneren Stimmen des Dichters, immer wieder mischen sich der Musiker Wolfgang Schlögl und die Souffleuse Monika Steidl ins Spiel ein.
Obwohl Mohr einen guten Rhythmus und viele Gags für die Aufbereitung von Turrinis faszinierenden Gedankenströmen fand, ist das Ergebnis kein Theaterstück. Am Ende gibt es Bravos für den Dichter und höflichen Applaus für eine liebevolle, aber für das große Haus doch ein wenig zu klein-artige Hommage.
(Kurier)

Turrinis biografische Revue gibt Einblick in die Werkstatt eines Dichters (Bühne: Miriam Busch): Vollgestopfte Bücherregale, Aktenordner, Manuskripte, dazwischen Erinnerungsstücke wie ein Asterix-Figürchen oder ein Totenschädel - vielleicht ein Memento mori, vielleicht aber auch Requisit bei der Aufnahmeprüfung ins Reinhardt-Seminar, als Turrini - mit "leichtem Kärntner Akzent" - die gestrenge Kommission als Hamlet beeindrucken wollte. Präsentiert werden die als Nummern angesagten Texte in Stephanie Mohrs unaufdringlicher, von Wolfgang Schlögl musikalisch begleiteter Inszenierung von Hilde Dalik, Marcello De Nardo, Thomas Mraz, Erich Schleyer und Susanna Wiegand, denen Kostümbildner Alfred Mayerhofer unauffällige schwarze Anzüge verpasst hat.
Die Rückschau, die sich Turrini verordnet, ist alles andere als eine geschönte Selbstbespiegelung, sondern, so Silke Hassler, die Lebenspartnerin des Dichters, "der Höllenritt eines Künstlers zwischen Triumph und Niederlage, Euphorie und Depression, Demütigung und Glückseligkeit". Prägende Kindheitserfahrungen wirken immer noch nach: Als Sohn eines Italieners wird der - noch dazu unsportliche - "dicke Tischlerbub" von der Kärntner Dorfgemeinschaft als Außenseiter abgestempelt, vereinsamt zusehends, entdeckt aber bereits in der Volksschule seine Begabung fürs Aufsatzschreiben und verfasst in der Folge alsbald eine Vielzahl eigener Texte.
Den in Pubertätsnöte geratenen Heranwachsenden nimmt dann der als Avantgarde-Mäzen verdienstvolle Komponist Gerhard Lampersberg unter seine Fittiche: Am Tonhof in Saal, in den 50er Jahren so etwas wie eine Künstlerkolonie, bewundert der Jungautor schüchtern und voll Ehrfurcht Nachwuchsschriftsteller wie Thomas Bernhard oder H. C. Artmann, die gerade dabei sind, sich einen Namen zu machen.
Mit dem Ausbruch aus der engen Welt des Dorfes beginnt für Turrini eine Zeit der Hoffnung und des Suchens, aber auch der Verunsicherung, bis er schließlich mit "Rozznjogd" (Volkstheater 1971) den Durchbruch als Dramatiker schafft, sich aber mit dem auf einer Müllhalde spielenden Stück den Ruf eines Skandale provozierenden Bürgerschrecks einhandelte. Auch im Verlauf seiner steil ansteigenden Karriere wird der sensible Gerechtigkeitsfanatiker Turrini immer wieder von Selbstzweifeln eingeholt und stellt sich mit bewundernswerter Aufrichtigkeit so manchen Grundsatzfragen der menschlichen Existenz. Allerdings niemals pathetisch, sondern mit stets durchschimmernder Selbstironie - bis hin zur Überlegung, dass das Leben irgendwann einmal zu Ende sein wird.
Außerhalb der Norm
Freilich lässt sich darüber diskutieren, ob die Text-Collage einer Bühnen-Realisierung bedarf. An der Josefstadt, wo Peter Turrini seit einigen Jahren seine "künstlerische Heimat" gefunden hat, war es jedenfalls ein Theaterabend außerhalb der Norm und eine Feierstunde für Peter Turrini. Nachzulesen sind die Texte in dem soeben bei Amalthea erschienenen Band "C’est la vie - Ein Lebens-Lauf". Und als weiterführende Lektüre bietet sich auch noch das bestens gestaltete Programmheft an.
(Wiener Zeitung)

Manches so intim, dass es weh tut, übertüncht mit launiger Selbstverletzungsabwehr-Anekdotenhaftigkeit, Lachen, bis einen – das Wort ist vom Peter gelernt – die "Arschlöcherei" des Lebens wieder einholt. So kommt er wunderbar poetisch von Kindheitswünschen zu Erwachsenenträumen, der dicke Kärntner Tischlerbub mit dem Katzlmacher-Vater, vom Abenteuer am Busen der Nachbarin ans Volkstheater, vom Kennenlernschock Lampersberg-Artmann-Bernhard in die Psychiatrie. Von "Rozznjogd" über "Sauschlachten" zur "Alpensaga". Immer schön tragi- bis komisch.
Nun aber mussten die Wortbrücken und Satzbauten auf die Bühne. Und hier gilt das Hurra! Regisseurin Stephanie Mohr, die die Versatzstücke als Pfand in ihre Hand nahm, Turrinis Herzbluttext in einen wärmenden Mantel der Liebe hüllte und daraus eine Aufführung zum Niederknien schuf.
Sonst hat sie alles original ins Können ihrer One in Five (um Jim Morrison zu zitieren) übertragen. Hilde Dalik, Marcello De Nardo, Thomas Mraz, Erich Schleyer und Susanna Wiegand turnen von Eros zu Thanatos, von der Wiege bis zur Bahre, spielen, wo’s eigentlich nichts zu spielen gibt, mit erfreulichster Bühnenpräsenz; auch wenn sie gerade nicht am Wort sind, hat hier jeder was zu tun – Paradeiser würfeln, Schreibmaschine malträtieren, Schultaferln mit Pfui-Ausdrücken beschmieren. Das Fünfgewürz macht die Buchstabensuppe zum Gourmettheater.
(Mottingers Meinung)

Regie
Stephanie Mohr

Bühnenbild
Miriam Busch

Kostüme
Alfred Mayerhofer

Musik und Musikalische Leitung
Wolfgang Schlögl

Dramaturgie
Ulrike Zemme

Licht
Manfred Grohs

mit
Hilde Dalik
Marcello de Nardo
Thomas Mraz
Erich Schleyer
Susanna Wiegand
Wolfgang Schlögl
Monika Steidl