Premiere: 27.11.2014
Christopher Hampton
Eine dunkle Begierde
Uraufführung
ca. 2 Stunden, 40 Minuten, eine Pause
by Arrangement with Tiana Alexandra-Silliphant of Hampton-Silliphant Productions
deutsche Übersetzung von Daniel Kehlmann
Die Väter der modernen Psychoanalyse in einem neuen Stück.
Spannende Rivalität zwischen Sigmund Freud und CG Jung, Dreiecksbeziehungen und Psychoduelle.
Oscar Preisträger Christopher Hampton inszeniert sein Stück "Eine dunkle Begierde" über CG Jung, seinen "Übervater" Sigmund Freud und das Verhältnis zur "Hysterie"- Patientin und späteren Psychoanalytikerin Sabina Spielrein.
"Eine dunkle Begierde" erzählt wie sich Sigmund Freud (Herbert Föttinger) und sein "Lieblingsschüler" Carl Gustav Jung (Michael Dangl) entzweiten; einerseits wegen der 18jährigen Patientin Jüdin Sabina Spielrein (Martina Ebm), aber auch wegen Jungs Neigung zu erotischen, esoterischen und mystizistischen Abwegen. Und wie aus der einstigen Hysterie-Patientin eine Pionierin der Psychoanalyse wurde.
Im Kern aber berichtet "Eine dunkle Begierde" von der Tragödie des revolutionären Denkers Sigmund Freud, der in einer Welt, die seinen Lehren und Erkenntnissen meist feindlich begegnete, an den Rand der Resignation gerät.
Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass in dieser Vorstellung aus künstlerischen Gründen geraucht wird.
Die Geschichte – im Zentrum steht der Vater-Sohn-Konflikt der Psychoanalyse-Pioniere Sigmund Freud und C. G. Jung – ist hoch interessant. Und die Geschichte der beiden Frauen in Jungs Leben – Ehefrau Emma und Patientin/Geliebte/Kollegin Sabina Spielrein – die auf unterschiedliche Weise um Selbstbehauptung und Anerkennung als Wissenschaftlerinnen kämpfen – ist fast noch interessanter.
(Kurier)
Reizvolle Gedankenspiele, raffiniertes Ensemble.
(Die Presse)
Herbert Föttinger spielt einen zynischen, selbstbezogenen Freud, der von einer Zigarrenrauchsäule so umwölkt ist wie die Raupe in "Alice im Wunderland". Martina Ebm schließlich als Sabina Spielrein ist die rätselhafteste Figur dieses Stücks. Ihre Verführung ist mehr als subtil.
(Wiener Zeitung)
Alles sehr komplex
Es ist der Stoff, aus dem die 500-Seiten-Schmöker sind: Der Beginn der Psychoanalyse. Deren Vertreter sogar nach einem Begriff für ihre Heilmethode suchen. Skeptiker und sexuelle Störungen (und das einer/meiner Generation, der auch noch Rückenmarkschwund beim "Selbermachen" angedroht wurde) allüberall. Der gottgleiche Sigmund Freud, der seine Jünger vom Glauben abfallen sieht: C. G. Jung, Otto Gross, die eigene Ideen entwickeln, was der Altmeister gar nicht tolerieren mag. Jung, der seine Libido nicht unter Kontrolle hat. Sondern ein Patientinnenpantscherl nach dem anderen. Darunter Sabina Spielrein. Die, bevor sie von Nazis, weil Jüdin, ermordet wird, eine Therapie für Kinder entwickelt…
Oscarpreisträger Christopher Hampton hat daraus ein Theaterstück gemacht, dann ein Drehbuch, aus dem ein grottiger (wenn auch in Wien gedrehter) Hollywoodschmarrn entstand. Nun hat er "Eine dunkle Begierde" für die Uraufführung im Theater in der Josefstadt neu geschrieben. Die deutsche Fassung entstand in Zusammenarbeit mit Daniel Kehlmann. Hampton hat selbst Regie geführt. Und er weiß, was er von und mit seinem Drama will. Autor und Regisseur haben einander Atemluft gelassen. "The Talking Cure" heißt das Ganze im Original. Was schon darauf schließen lässt, dass Hampton seinem Zuschauer Sitzfleisch abverlangt. Vor und hinter Schreibtischen wird nämlich viel geredet. Zweidreiviertel Stunden lang. "Action" gibt es so gut wie keine. Das hier ist Sprech-Theater im Wortsinn. Und man braucht ein herausragendes Ensemble, wie das Josefstädter, an der Spitze Direktor Herbert Föttinger als Freud, um das "freudvoll" über die Rampe zu bringen. Nichts zwischen-, un- und anderer Art menschliches wird ausgelassen. Der Zuschauer fällt mit den Figuren von Höhen in Tiefen. Gefühlen wird im Unterdrücken Ausdruck verliehen. Und eine Frau steht plötzlich zwischen zwei Analytikern, was wahrscheinlich noch schlimmer ist, als zwischen zwei Liebhabern … Dazu – man bleibt optisch zeitlos in der Zeit – als Bühnenbild von Tim Goodchild eine Art Narrenturm, der sich zu vier drehbaren Räumen öffnet. Vom Behandlungsraum zum Bettgeflüsterkämmerlein. Die Kostüme sind von Birgit Hutter.
Die schwierigste Rolle kommt Martina Ebm zu. Und sie meistert sie mit Bravour. Sie braucht kein Keira-Knightley’sches Zähneknirschen und wildes Treten, um die seelischen Qualen der Sabina Spielrein glaubhaft darzustellen. Ebm spielt eine hochgebildete, im Herzen bereits emanzipierte, emotional aber verkrüppelte junge Frau. Wie sie stockend ihre Geschichte erzählt, statt um sich zu schlagen – das hat sie vom jähzornigen Vater oft genug erlebt. Wie sie deshalb jede Berührung von "Krankenschwester" Therese Lohner scheut. Wie sie Jung verfällt – und später, als er die Bindung löst, zum Zynismus findet, um dann doch Freundschaft mit ihm zu schließen … Ebm, die am Haus nach der Kathi im "Zerissenen", ihre zweite Rolle absolviert, sollte damit bewiesen haben, dass sie für Komödie und Tragödie gleichermaßen einsetzbar ist. Eine Autodidaktin der Extraklasse.
Stark agiert auch Alma Hasun als Emma Jung. An der Seite eines Mannes, der kein Interesse mehr an ihr hat, außer seinem Lustprinzip folgend unvermeidlich ein Kind nach dem anderen mit ihr zu zeugen, bietet sie ihm sarkastisch Paroli. Und dem Publikum am Ende einen Hoffnungsschimmer: Auch sie wird sich, die Kleinen sind ja jetzt groß genug, dem Berufsleben zuwenden. Sie, der zuvor in Gesellschaft, mit intelligenteren Aussagen aufzutreten als ihr Mann, untersagt war. Der "Ungustl" ist Michael Dangl als Carl Gustav Jung. Ein Arzt als Oberlehrer, der vierbuchstäblich zum Zuchtmeister wird, weil Sabina auf Popoklatschen mit dem Lederriemen steht. Dabei findet zwischen den beiden kaum erotisches Knistern statt; was Jung für Frauen so attraktiv gemacht haben soll, hält Dangl wie hinter einer Maske im Verborgenen. Soll das schweizerisch-steif sein? Nur einmal, als sie ihn verlässt und er auf dem eben noch Liebeslager in Tränen ausbricht, regt sich etwas.
Ist Jung der Oberlehrer, ist Freud natürlich "der Herr Professor". Mit sehr gelungener, fast perfekter "Ähnlichkeit" zeigt Herbert Föttinger die Ganze Bandbreite seines Könnens. In seinem der Berggasse nachempfundenen Arbeitszimmer agiert er ruhig, überlegt, wortgewandt – und hat dabei Widersacher und Widersprüchler im strengen Blick. Ein Aposteleinsammler, dessen Dialoge mit Dangl-Jung nicht unkomisch sind. Gelungen auch, wie Föttinger die schwere Krankheit des schweren Rauchers schon vorwegnimmt. Sabina Spielrein landet schließlich unter seinen Fittischen, auch, wenn er ihre Theorien … Die kluge Frau schweigt und macht Karriere. Der Bruch mit Jung erfolgt als sich dieser Mystik, Esoterik, Parapsychologie zuwendet. Von den mehr Dingen zwischen Himmel und Erde will Freud nichts wissen. Sondern die Wissenschaft rein halten, nicht über ihre Grenzen gehen. Föttinger ist auch im freud’schen Zorn über den Unfug seines von ihm ernannten Kronprinzen großartig.
Bleibt Florian Teichtmeister als Otto Gross, ein rotzfrecher Schlurf, der, weil drogensüchtig in Jungs Apothekerschrankerl nach dem ihm Allerheiligsten sucht. Er ist Täter, nicht "Talker", bringt die Drehzahl der Inszenierung auf Touren, jeder seiner Auftritte eigentlich ein Kabinettstück. Verführerisch neurotisch haut er mit der Krankenschwester ins Nobelhotel auf ein Tête-à-Tête ab. Und schickt Jung die Rechnung. Man soll im Leben nichts unterdrücken, ist sein Credo. Mit vielen dergestalt liebevollen "Kleinigkeiten" sorgt Hampton auch für Lacher im Publikum.
Die rundum geglückte Aufführung muss den Streit zwischen Freud und Jung natürlich offen lassen. Er ist bis heute nicht gelöst. Immer noch werden Symptome behandelt, nicht Ursachen. Da schließt sich der Narrenturm mit Getöse.
(Mottingers Meinung)
Dass das Drehbuch zumindest dramaturgisch auf die Theaterbretter passt, dankt man einem hervorragenden Drehbühnen-Bild von Tim Goodchild, das die verschiedenen Schauplätze reibungslos bedient – die Burghölzli-Klinik in Zürich, Freuds Arbeitszimmer in Wien, später Hotels und Jungs Haus in Zürich, auch eine Überfahrt von Freud und Jung nach Amerika. Die Verwandlungen gleiten tatsächlich wie filmisch ineinander, man stolpert hier nicht über Wartezeiten, wie sie in schlechter konzipierten Dekorationen immer wieder passieren. Man ist (auch durch die diskreten, stimmigen Kostüme von Birgit Hutter) in der Welt des beginnenden 20. Jahrhunderts, wo noch so viel Aufbruchstimmung herrschte – zumindest in der Medizin.
Die Josefstadt hat auf der Höhe ihrer Ansprüche besetzt. Das Haus bietet dafür Neuzugang Martina Ebm auf, die schon bei Nestroy aufhorchen ließ und hier die gefährliche Balance bewältigt: Sie ist als das gestörte Geschöpf glaubwürdig genug, überzieht aber nicht so, dass es "unjosefstädtisch" würde. Jedenfalls ist es eine eindrucksvolle Leistung.
Stocksteif, ohne Akzent schweizerisch bieder, ein anteilnehmender, aber letztendlich an Theorie vordringlich interessierter Arzt und ein extrem selbstsüchtiger Mann – Michael Dangl packt all diese Eigenschaften von Jung in eine steife Körpersprache, die im Grunde dauerndes Unbehagen mit seiner Situation signalisiert, selbst in Zeiten evidenter Selbstgefälligkeit. Das ist wieder einmal eine große Aufgabe, wie sie ihm zukommt.
In der kleinen, aber so reich mit Exzentrik beschenkten Rolle des Otto Gross genießt Florian Teichtmeister die Studie des gänzlich und fröhlich Amoralischen auf dem geraden Weg zur Selbstzerstörung. Noch eine junge Frau darf, wenn auch am Rande, stark wirken: Alma Hasun als Frau Jung ist meist schwanger, zeigt deutlich, wie klar ihr ist, dass sie ihren Mann mit ihrem Geld durchaus auch "kauft" – und dass sie dies auf sich nimmt. Das ist eine bemerkenswerte Studie in sich.
Held und Clou des Abends ist natürlich Sigmund Freud, der große Mann, an dem heutzutage so viel herumkritisiert wird – nicht zu Unrecht, und Hampton tut es sogar mit einigem Humor. In dieser Paraderolle genießt Herbert Föttinger die Suada des Eitlen, die Verbohrtheit des Monomanen, die Verletztheit des In-Frage-Gestellten. Egal, was man von ihm hält, Dr. Freud fasziniert.
(Der neue Merker)
Regie
Christopher Hampton
Bühnenbild
Tim Goodchild
Kostüme
Birgit Hutter
Musik
George Fenton
Dramaturgie
Silke Ofner
Licht
Emmerich Steigberger
Agathe Jung/Ilja Hollweg
Carl Gustav Jung
Michael Dangl
Sabina Spielrein
Martina Ebm
Sigmund Freud
Herbert Föttinger
Emma Jung
Alma Hasun
Otto Gross
Florian Teichtmeister
Krankenschwester
Therese Lohner
Agathe Jung/Russisches Mädchen
Annika Borde
/ Ilja Hollweg
Krankenpfleger/SS-Offiziere
Michael Edlinger
/ Robert Hager
Hebamme
Ursula Machold
/ Christiane Prechler