Premiere: 14.11.2024
Anton Tschechow
Onkel Wanja
ca. 2 Stunden, 45 Minuten (Pause nach ca. 85 Minuten)
Deutsch von Angela Schanelec
Nach einer Übersetzung von Arina Nestieva
Wenn man kein wirkliches Leben hat, dann nimmt man eben die Illusion.
“Man muss ein Werk schaffen!" Müßiggang als Grundübel – in Onkel Wanja treffen gescheiterte Existenzen aufeinander, die zwar zur Selbstreflexion fähig sind, sich aber dennoch nur in ihrer Ausweglosigkeit gefangen sehen: Wanja muss erkennen, dass er sein Leben einem falschen Ideal geopfert hat. Der vermeintlich geniale Professor, der Mann seiner verstorbenen Schwester, deren Gut er gemeinsam mit seiner Nichte Sonja seit Jahren bewirtschaftet, offenbart sich als bedeutungsloser Theoretiker. Jelena, die junge Frau des Professors, weiß längst, dass ihre Liebe nicht von Bestand war. Sonja leidet unter ihren unerwiderten Gefühlen für Astrow; der wiederum ist unglücklich in Jelena verliebt. Zudem fordert er ein Umdenken der Gesellschaft, versteckt sich aber hinter seinen Ansichten. Inmitten dieser resignativen Stimmung verkündet der Professor, dass das Gut verkauft werden soll – Wanja reagiert mit Vehemenz.
Aber gerade eben in dieser Stimmung der Desillusion und Resignation erkennt Tschechow komisches Potenzial und entspinnt wunderbare, absurd-lächerliche Situationen. Dabei zeigt uns der Meister der Darstellung des menschlichen Seelenzustands Figuren, die das Wesentliche hinter vordergründig Gesagtem und Trivialem verbergen. Tschechows Arzt Astrow, der energisch das Abholzen der Wälder problematisiert, ist zudem einer der ersten Vertreter des ökologischen Gedankens in der Literaturgeschichte.
Anton Tschechows „Onkel Wanja“ als grelle Bühnenshow - so hat man das noch nicht gesehen. Das Personal des Stücks besteht aus allerlei verlorenen Menschen, die in einem Landhaus aneinanderkleben, aber nicht viel mit ihrem Dasein anzufangen wissen. Unerfüllte Liebe, verfehlte Lebensziele und jede Menge Ratlosigkeit bestimmen den Alltag. Die Josefstädter Aufführung tritt den seltenen Beweis an, dass etwas wie aus der Zeit gefallen wirken kann und doch ganz auf der Höhe der Zeit ist. Wir sehen eine Gesellschaft, die fortwährend ihr Scheitern beklagt, aber nichts Vernünftiges dagegen zu tun vermag. Der Unterschied zu uns ist nur das, dass am Theater hier wesentlich komischer daherkommt. Ein exzellentes Ensemble und eine feinziselierte Regie schaffen Vergnügen, aber auch Momente der Nachdenklichkeit. Was will man mehr von einem Theaterabend.
(Martin Traxl, ZIB 1)
Christian Schmidt hat auf der Drehbühne ein wirklich spektakuläres, geradezu mondänes Landhaus im westlichen “Schöner Wohnen”-Stil errichtet. Das chaotische Treiben unterhält blendend. Joseph Lorenz brilliert als jammernder Professor. Thomas Frank brabbelt als andauernd vorbeitrottender Telegin wunderbar Schwachsinn. Marianne Nentwich kümmert sich rührend um alle. Und Alexander Absenger, an sich besonnener Astrow, macht sich vor Jelena strippend zum Kasperl. Alma Hasun schlägt als höhere Tochter tatsächlich ihren Bann. Der große Moment von Johanna Mahaffy mit Brille und Vokuhila von Stefanie Seitz ziemlich unsexy hergerichtet, kommt mit dem Durchhalte-Schlussmonolog. Und Raphael von Bargen demonstriert hochartistisch, dass doch nicht das Bühnenbild die Hauptrolle hat: Er schenkt der Angebeteten in einer hinreißenden Pantomime seine Gefühle – und flippt mit wirren Haaren nachvollziehbar aus, als der Professor das Gut, zum eigenen Vorteil verschachern will. Diese Produktion dürfte wohl ein Renner werden.
(KURIER)
Reizend sind die Interieurs, es gibt bürgerliche Möbel und ein modernes Badezimmer, aber auch jede Menge heutiger Retro-Accesoires. Auch E-Gitarre und Schlagzeug stehen herum. Mit diesen werden sich Tschechows Figuren immer wieder lärmend die Zeit vertreiben, sich aus dem lähmenden Jetzt gemeinsam in Träume flüchten. Sie tun hier überhaupt sehr viel: Selbst wenn sie kurz in unterschiedlichen Räumen verharren, interagieren sie so rasch wieder, dass ein Eindruck von Isolation und Einsamkeit nicht wirklich aufkommen kann. Raphael von Bargen spielt den Wanja als tristen Clown mit großartiger Energie. Thomas Frank prägt als herrliche komischer Telegin die Aufführung. Unglaublich wendig und hemmungslos outrierend zieht Joseph Lorenz seine Show ab. Er zieht die Register bester Wiener Theatertradition: Bis ins Kleinste aufeinander abgestimmt sind dieser von Deklamation ausgehenden Choreographie der Komik Sprache und Körpersprache. Extrovertiert und komisch. Alexander Absenger und Alma Hasun sind ausgezeichnet in ihren Rollen, wie das gesamte Ensemble. Johanna Mahaffy berührt.
(Die Presse)
In diesem “Onkel Wanja” greifen literarisches Theater, Regiehandwerk und darstellerisches Können aufs Beste ineinander – auch die von Imre Lichtenberger Bozoki betreute Musik. Diese Inszenierung ist schwungvoll und voll hinreißender Details. Stefanie Seitz hat die in Design und Passform fabelhaften Kostüme gestaltet. Christian Schmidts Drehbühne gibt Einblicke in Wohnzimmer, Stiegenhaus , Küche und Bad im Schick der 1970er-Jahre. Alle Schauspieler sind vorzüglich, Joseph Lorenz ist in Hochform: Präzise und prestissimo in Sprache und Geste spielt er auf der Klaviatur von Gefühlen und Situationen. Alma Hasun als junge Ehefrau erfreut ebenso kokettierend wie sich neben diesem Lamento-Mann fadisierend. Doppelbödig spielt sie, ihre aufreizende Gestik macht es plausibel: Alle Männer sind in diese Jelena verliebt – außer dem verarmten Mitbewohner Telegin, als der Thomas Frank die vielen komödiantischen Kniffe Amélie Niermeyers betont. Alexander Absenger als Astrow ist ebenso ein pessimistischer Intellektueller wie ein hitziger Jungspund. Johanna Mahaffy spielt die Sonja umsichtig und mutig. Raphael von Bargen betört mit versiertem Spiel samt akrobatischem Sprung auf den Handlauf der Treppe.
(Salzburger Nachrichten)
Johanna Mahaffy zeigt zu welcher Herzenstiefe sie fähig ist. Es gefallen Joseph Lorenz, ein Meister der unterspielten Pointe, Alma Hasun, Thomas Frank, Marianna Nentwich und Alexander Absenger ganz außerordentlich. Die rasend überhitzte Szene, in der Wanja durchdreht, mit Raphael von Bargen der Abendhöhepunkt.
(Kronen Zeitung)
Niermeyer setzt in ihrer sprachlich meist behutsam ans Heute angeglichenen Deutung des 1899 uraufgeführten Stücks auf das stetige Spiel zwischen Anziehung und Abstoßung: Während eine grandios verschrobene Johanna Mahaffy als Sonja im blonden Vokuhila dem feschen Arzt Astrow (als Prototyp des begehrenswerten Mannes: Alexander Absenger) näher kommen will, entbrennt Wanja für Jelena, die wiederum in Astrow eine Chance wittert, aus ihrer faden Ehe mit dem alten Professor auszubrechen. Vieles davon geschieht nonverbal, die Spannung zwischen den sich im Raum verrenkenden Körpern ist fast mit den Händen zu greifen.
Niermeyer hat es mit ihrer Fassung geschafft, den Topos der Aussichtslosigkeit in gedankenlosen Hedonismus zu gießen und eine Gesellschaft zu zeichnen, an der Astrows Bemühungen zum Schutz des Waldes - den Janosch Abel mit Videoprojektionen direkt ins Wohnzimmer holt - abprallen. Während er über den Erhalt des Ökosystems philosophiert, versucht ihn Jelena zu verführen. Am Ende ist alles, wie es begonnen hat. Plus der zahlreichen tiefen Verletzungen, die das Zusammenleben hinterlassen hat. Lang anhaltender Jubel beschloss Niermeyers flotten, trotz der vordergründigen Action auf präzise Figurenarbeit setzenden Abend, der deutlich macht: Am Ende sind sie alle "All by myself".
(APA)
Der erzwungene Stillstand produziert heitersten Slapstick. In Wanjas einstöckiger Heimstatt versammeln sich Menschen, angezogen in den Farben der Humana-Kleidersammlung, zum allerletzten Ballett. Zu ebener Erde belagern die Angehörigen der Familie Wojnizkij eine Küchenzeile (Bühne: Christian Schmidt): braten sich dort ein Ei, unterliegen wie Landwirt Telegin den Gesetzen der Schwerkraft oder beklagen ihre gesellschaftliche Nutzlosigkeit. Weil sich die Bühne jedoch, wie die Erde insgesamt auch, gemächlich weiterdreht, gewinnt man nicht ohne Schauder einen verheerenden Eindruck von den Wohnlandschaften des Postsozialismus. Es ist ein herrliches Pandämonium, das Regisseurin Amélie Niermeyer hier erschaffen hat. Diese hochvirtuose Neuinstrumentierung Tschechows passt famos in die Josefstadt hinein. "Onkel Wanja" erblüht in der Josefstädter Theater-WG zu neuem Leben. Verdienter Jubel für alle Beteiligten.
(Der Standard)
Regisseurin Amélie Niermeyer gibt ihrem fantastisch besetzten Ensemble viel Zeit, die Charaktere auszuloten. Gerade dadurch, dass die oft betrunkenen Figuren manchmal wie in einer Farce übertreiben – bis hin zur Akrobatik -, wird ihr Innenleben umso greifbarer. Ein Abend, der einem ans Herz geht.
(Falter)
Niermeyer ringt den tragischen Szenen unter Einsatz von Slapstick etliche komische Momente ab. In großer Bandbreite, von Franz Schubert über Joy Division zu sentimentalen Schlagern, verstärkt Musik (Imre Lichtenberger Bozoki) die Gemütszustände. Einmal wird gemeinsam musiziert: Dann finden sich die Figuren für einen Augenblick, genau dann ist ihre Isoliertheit aufgehoben. In der Übersetzung von Angela Schanelec (nach Arina Nestieva) ist die Sprache heutig und Tschechows Wald gewinnt angesichts des Klimawandels neue Bedeutung.
(Die Furche)
Regie
Amélie Niermeyer
Bühnenbild
Christian Schmidt
Kostüme
Stefanie Seitz
Musikalische Leitung
Imre Lichtenberger Bozoki
Video
Janosch Abel
Dramaturgie
Silke Ofner
Licht
Manfred Grohs
Serebrjakow, Professor im Ruhestand
Joseph Lorenz
Jelena, seine Frau
Alma Hasun
Sonja, seine Tochter aus erster Ehe
Johanna Mahaffy
Maria Wojnizkaja, Mutter der ersten Frau des Professors
Marianne Nentwich
Wanja, ihr Sohn
Raphael von Bargen
Astrow, Arzt
Alexander Absenger
Ilja Iljitsch Telegin
Thomas Frank