Premiere: 30.01.2025
Lisa Wentz
Azur oder die Farbe von Wasser
Uraufführung
ca. 1 Stunde, 40 Minuten, keine Pause
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Bitte beachten Sie:
Das Stück behandelt unter anderem die Themen Kindesmissbrauch, Trauma und Verlust.
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Lieber Gott
mach mich fromm
dass ich in den
Himmel komm
Aber Mama
ich will noch nicht
in den Himmel
ich will bei euch
bleiben
Österreich, 1988: Missbrauchsfälle im katholischen Bubeninternat werfen einen Schatten auf Johannes’ und Geris junge Liebe. Johannes zieht sich in den Heuschober zurück, um zu malen. Geri will lieber ausbrechen: nach Wien, in eine freiere Welt. Von Gesellschaft und Familie totgeschwiegen, hinterlässt der Missbrauch unaufhaltsam seine Spuren in Lisa Wentz’ generationenübergreifendem Stück.
“Ich mal uns eine Welt", sagt Johannes zu Geri, als sie in ihren Internatsbetten liegen. “Ich mal uns eine Welt ganz weit weg von hier. Und dahin können wir fliehen, wann immer wir wollen." Jahrzehnte später sucht Johannes’ Tochter Anna ihn immer noch in diesen Gemälden aus Azur, in dieser Welt, die er geschaffen und mit ihr geteilt hatte, so gut er konnte. Sie versucht, das Verschwinden des Vaters zu verstehen, die Ankunft seines Jugendfreundes Geri, die abgeklärte Trauer ihrer Mutter und den starren Glauben der Großmutter. Azur ist meine Hommage an Johannes und an die Welt in der Farbe des Wassers, in der wir uns begegnet sind.
Lisa Wentz
Für ihr Stück Adern gewann die Tiroler Dramatikerin Lisa Wentz sowohl den Retzhofer Dramapreis (2021) als auch den Nestroy-Preis für das beste Theaterstück (2022). Azur ist ein Auftragswerk für das Theater in der Josefstadt und ihre zweite Zusammenarbeit mit dem Regisseur David Bösch.
Die hochvirtuose Dorfgeschichte trägt die unverwechselbare Handschrift der jungen Tirolerin Lisa Wentz. Der Regisseur David Bösch entwirft in Patrick Bannwarts klaustrophobischer Dorfwelt ein dichtes, beklemmendes und zärtliches Gebilde - hingebungsvoll inszeniert. Das sensationelle Ensemble verwandelt sich mit purer Schauspielkunst durch die Lebensalter. Michael König schafft es ohne Hilfsmittel von sehr alt zu uralt, um ihn ist das Beste aufgeboten: Katharina Klar, Ulli Maier, Martina Ebm und Juliette Larat als vaterlose Tochter. Ein Höhepunkt ist Günter Franzmeiers steinerner Auftritt als Dorfpotentat.
(Kronen Zeitung)
David Bösch bringt das Stück über Missbrauch in der katholischen Kirche bildstark zur Uraufführung - Wentz' Text glänzt durch Behutsamkeit in der Aufarbeitung eines Traumas. Wie behutsam Wentz das Thema hier verhandelt, ist der starke Kern dieses Abends. Oft sind es weniger die Andeutungen als die Pausen, die das Unsagbare greifbar machen.
(APA)
David Bösch legt die Latte hoch, weil er Wentz' Musikalität – wie weiland Ödön von Horváth notiert sie Pausen mit Gedankenstrichen – in lebhaftes Spiel umsetzt. Er führt er ein exzellentes Ensemble mit höchst unterschiedlichen Sprachfärbungen so behutsam, dass die Anflüge einer dialektalen Kunstsprache (etwa "eppan" für "jemand") nicht befremden. Das psychologische Schauspiel kann hier seinen Glanz an einem zeitgenössischen Drama entfalten.
(nachtkritik.de)
Es passiert ein rares Wunder. Man verfällt restlos dem Zauber dieser schwerlich zu buchstabierenden Schicksale. Wentz hat das heulende Elend dieser Gedemütigten, von Vertretern der Kirche Missbrauchten in eine Theaterballade übersetzt. Die Zeit vergeht in den Zimmern schlagartig. Die Dramaturgie hüpft gelenkig zwischen den Jahren 1988 und 2011 hin und her. David Bösch, Regisseur dieser famosen Uraufführung, hat der völlig reduzierten Sprache der ebenso jungen wie großartig begabten Autorin jede Nuance abgelauscht. Er trauert mit und gibt doch keine und keinen Einzigen von all den Beladenen verloren oder vorschnell hämischem Einverständnis preis.
(Der Standard)
Die meisten Szenen spielen 1988. Das Team rund um Regisseur David Bösch skizziert jenes Jahr mit viel Liebe zum Detail. Kostümbildnerin Moana Stemberger verpasste Alexander Absenger als Hannes einen Vokuhila und eine Jacke in Petrol, der damaligen Modefarbe. Sein Freund (Oliver Rosskopf) schenkt ihm eine bespielte Cassette – unter anderem mit Songs von Duran Duran, A-ha, Tanita Tikaram und The Smiths. Sie erklingen aus dem Ghettoblaster, aus dem Radio in der Küche – und als getragene, düstere Coverversionen von Karsten Riedel aus dem Off. Währenddessen rotiert das schematische Haus (Bühnenbild: Patrick Bannwart) auf der nebelverhangenen Drehbühne: Bösch markiert die Zäsuren zwischen den Zeitebenen und den Traumsequenzen mehr als deutlich.
David Bösch griff ein wenig ordnend in den hin- und herspringenden Text ein. Und er arbeitet das Unvermögen, sich zu artikulieren, brutal heraus. In der Stille zwischen den zumeist sehr kurzen Sätzen liegt wie Blei das Unaussprechliche.
Trotz der Vorkommnisse, die sich längst auf das gesamte Familiengefüge ausgewirkt haben, gibt es ein paar heitere Momente. Dafür sorgt zum Beispiel Michael König als Großvater, der auch ohne Kostümwechsel in der Sekunde von 1988 auf 2011 zu altern versteht. Oder Ulli Maier als strenggläubige Mutter, die schon früh ihren Mann verloren hat und mit den Moden nicht mitkommt. „Warum tut ma denn Spinat in a Lasagne?“, fragt sie fassungslos. Aber auch Lisa Wentz sorgt dafür, dass man nach eindreiviertel Stunden der Andeutungen über die Taten des Religionslehrers – „Es hat mal jemand gesagt, dass ich sehr talentiert sei“ – nicht allzu deprimiert das Theater verlässt: Sie wendet die „Pulp Fiction“-Dramaturgie an – und endet mit einem fast hoffnungsfrohen Schluss. Eine subtile wie packende Inszenierung.
(KURIER)
Kein Zynismus, sondern der heilige Ernst dunkler Volksstücke durchzieht Lisa Wentz' poetische Prosa, in der auch von der Regie kunstvoll genutzte Pausen zur Wirkung kommen. Eine starke Stimme des gegenwärtigen Theaters. Das Ensemble zeichnet schnörkellos prägnante Figuren. Absenger und Rosskopf verkörpern mit hoher Intensität die Opfer. Klar spielt eine erfolgreiche Rebellin. Als Punk-Girl gibt sie dem Abend einen speziellen Touch. Mehr Trauer vermittelt Ebm als duldende Karla. Anna als die Jüngste im Bund wird von Larat ebenfalls positiv dargestellt; lauter starke, wütende Frauen. Überzeugend wirkt auch Maier. Wilhelmina ist herrschsüchtig und böse, deckt Skandale zu. König hingegen stellt als ihr Vater einen relativ gutmütigen Charakter dar. Zu den negativen Charakteren zählt Gerolds Vater. Mit wenigen Strichen macht Günter Franzmeier ihn zu einem Bösewicht. Der Abgang dieses berechnenden Ortskaisers mit kaltherzigen Erklärungsversuchen hinterlässt Beklemmung. Wer sich auf dieses schwermütige Drama einlässt, wird sie besonders stark verspüren.
(Die Presse)
Als würden die Herzen von Lisa Wentz und David Bösch im gleichen Takt schlagen: Die Tiroler Dramatikerin Wentz, gerade 30 geworden und schon mit Preisen überschüttet, vertieft ihre schnörkellosen, von Mundart unterwanderten Texte bis zur Schmerzhaftigkeit mit Relevanz. Regisseur Bösch verwandelt nicht bloß Texte und Beziehungen in Bilder, sondern bringt auf die Bühne, was keiner sagt, aber jeder bei sich denkt. Zusammen bahnen die beiden berührende Begegnungen an, die den Abstand zwischen Bühne und Zuschauerraum auflösen und gestalten „Azur“ zum Triumph. Starkes Theater. Ein Ereignis.
(OÖN)
David Bösch inszeniert ohne Angst vor großen Emotionen mit 80er-Jahre-Songs von The Smiths über Madonna bis zu „Take On Me“ von A-ha in einer melancholischen Coverversion. Das Ensemble spielt exzellent.
(Falter)
Regie
David Bösch
Bühnenbild
Patrick Bannwart
Kostüme
Moana Stemberger
Musikalische Leitung
Karsten Riedel
Dramaturgie
Matthias Asboth
Licht
Manfred Grohs
Anna
Juliette Larat
Johannes (Hannes)
Alexander Absenger
Gerold (Geri)
Oliver Rosskopf
Martha
Katharina Klar
Karla
Martina Ebm
Wilhelmina (Mina)
Ulli Maier
Helmuth
Michael König
Richard
Günter Franzmeier